Freitag, 22. März 2019

Wege - Gewebe zu einem Märchen


Von Christine Läubli


«textil 13 ist eine Gruppe von Handweberinnen aus dem Schweizerischen Zürichseeraum, der ich angehöre. Vom 6. bis 21. Mai 2017 zeigten wir im Ortsmuseum Horgen die «Ausstellung Wege – Gewebe zu einem Märchen». Wir starteten gemeinsam mit einem Tagesseminar bei der Märchenexpertin Elisa Hilty (www.favola.ch). Sie wählte für uns das griechische Märchen «Die unglückliche Prinzessin» aus.


Für die Ausstellung griff ich zwei Bilder des Märchens auf. Bei beiden Werken geht es um die Rolle von Müttern und Töchtern, um die «Mitgift», das Loslassen der Kinder und das Vertrauen, dass sie ihr Leben auf ihre Weise meistern
.

Mitgift: Seide, Alpaca, 60 x 180 x 30 cm, 2017

mitgift

ich gebe dir dukaten mit
und eine warme hülle
nun liegts bei dir
geh deinen weg
mit zuversicht
und suche dir
wenn du ihn brauchst
den rat der guten königin




Ahninnen: Leinen mit Liquid Light Verfahren, 5 Gewebe à 70 x 95 cm, 2017

ahninnen

sie behüten und nähren
strafen und lieben
und mischen sich ein.

und eines tages
bin auch ich
eine von ihnen
ein glied in der kette
der kette der ahninnen


Zur Ausstellung erschien ein Heft mit dem Märchentext und Abbildungen von Gewebeskizzen unserer Gruppe.
Fotos: Urs Müller, Gestaltung: Jan Hofer
Erhältlich bei chr_laeubli@hotmail.com, CHF 10 (Euro 9) + Porto und Verpackung.





Die unglückliche Prinzessin
Es war einmal eine Königin, die hatte drei Töchter, aber die konnte sie nicht versorgen. Die Königin hatte grossen Kummer, weil alle anderen jungen Mädchen heirateten, und ihre, die doch Königstöchter waren, sollten womöglich ohne Mann alt werden.
Eines Tages ging eine Bettlerin am Schloss vorbei und bat um ein Almosen. Als sie die Königin so bedrückt sah, fragte sie, was ihr fehle, und diese erzählte ihre Sorgen. Darauf sagte die Bettlerin: «Höre, was ich dir sage. Nachts, wenn deine Töchter schlafen, musst du sie beobachten und nachsehen, wie sie liegen. Und das musst du mir sagen.»
Das tat die Königin. Nachts beobachtete sie die Mädchen und sah, dass ihre älteste Tochter die Hände über dem Kopf hielt, und die zweite gekreuzt über der Brust, und die dritte zusammengelegt zwischen den Knien.
Als am nächsten Tag die Bettlerin kam und nachfragte, erzählte die Königin, was sie beobachtet hatte. Da sagte die Bettlerin: »Höre mich, Frau Königin. Die dritte, die im Schlaf die Hände zwischen den Knien zusammengelegt hielt, die hat das schlimme Schicksal und steht auch dem Schicksal der anderen im Weg.»

Als die Bettlerin fortgegangen war, blieb die Königin in Gedanken versunken. «Ich will dir etwas sagen, Mutter», sagte die jüngste Tochter zu ihr, «sorge dich nicht. Ich habe gehört und verstanden, dass ich auch für meine Schwestern das Hindernis für ihre Heirat bin. Gib mir meine ganze Mitgift in Dukaten, nähe sie mir in den Saum meines Rockes und lass mich ziehen.» Die Königin wollte sie nicht ziehen lassen und sagte zu ihr: »Wohin willst du denn gehen, meine liebe Kleine?» aber sie hörte nicht. Sie kleidete sich als Nonne und brach auf, nachdem sie von der Mutter Abschied genommen hatte. Als sie durch das Tor des Schlosses davonging, kamen zwei Freier für ihre Schwestern herauf.
Die Unglückliche ging und ging, bis sie am Abend in ein Dorf kam. Dort klopfte sie an die Tür eines Webers und bat ihn, in seinem Haus die Nacht verbringen zu dürfen. Der lud sie ein, sie möchte in seine Wohnung heraufsteigen. Aber sie lehnte ab und bestand darauf, im Keller zu bleiben.
In der Nacht nun kam ihre Schicksalsfrau und fing an, die Stoffe, die dort unten aufbewahrt waren, in Fetzen zu reissen, und brachte alles durcheinander, obwohl das Mädchen sie inständig bat, Ruhe zu halten. Aber wie hätte die Schicksalsfrau darauf hören sollen! Sie drohte ihr vielmehr, dass sie auch noch sie selbst zerreissen würde. Als es Tag wurde, kam der Weber herab, um nach der Nonne zu sehen. Als er all das Unheil sah, all seine Waren verdorben und alles auf den Kopf gestellt, sagte er zu dem Mädchen: «Oh, Frau Nonne! Was hast du mir Schlimmes angetan? Du hast mich zugrunde gerichtet! Was soll jetzt aus mir werden?» - «Sei ruhig», sagte sie, öffnete den Rocksaum und holte Golddukaten heraus und sagte zu ihm: »Genügt dir das?» - «Genug, genug »
Und so nahm sie Abschied von ihm und machte sich wieder auf den Weg. Sie ging und ging, bis sie wieder von der Nacht überrascht wurde und im Haus eines Töpfers blieb. Dort geschah wieder dasselbe. Sie bat, im Keller bleiben zu dürfen, und wieder kam nachts ihre Moira und liess nichts heil. Am anderen Morgen kam der Töpfer, um nach der Nonne zu schauen, und sah die Katastrophe. Er fing an zu schreien und zu klagen, aber als sie auch ihm die Hände mit Golddukaten füllte, gab er Ruhe und liess sie ziehen.
Wieder machte sich die Unglückliche auf den Weg., bis sie zum Königsschloss jenes Landes kam. Dort verlangte sie, die Königin zu sehen und bat um Arbeit. Die Königin, eine kluge Frau, merkte gleich, dass sich unter der Kutte eine Herrentochter verbarg, und fragte sie, ob sie die Perlenstickerei verstünde. Sie antwortete, dass sie sehr gut mit Perlen arbeiten könne, und so behielt die Königin sie bei sich. Aber als die Unglückliche sass und stickte, stiegen die Gestalten aus den Ahnenbildern von den Wänden herab, nahmen ihr die Perlen weg, quälten sie und liessen ihr keinen Augenblick Ruhe.
Das alles sah die Königin und bekam Mitleid mit ihr, und oft, wenn die Mägde sich beklagten, dass nachts das Tafelgeschirr zerspränge, und behaupteten, dass jene es zerbräche, sagte die Königin zu ihnen: «Seid still, seid still, denn sie ist eine Prinzessin und Herrentochter, aber die Arme hat ein böses Schicksal.»
Eines Tages schliesslich sagte die Königin zu ihr: «Höre, liebes Kind, was ich dir sagen möchte. Auf diese Weise kommst du mit deinem Leben nicht zurecht, da dich deine Moira hetzt. Du musst vielmehr sehen, einen Weg zu finden, dass sie dir ein neues Schicksal zuteilt.» - «Aber, was soll ich machen?» fragte das Mädchen. «Was muss ich denn tun, damit sie mir ein neues Schicksal zuteilt?»
«Komm, ich will es dir sagen. Siehst du den hohen Berg in der Ferne? Dort sind alle Schicksalsfrauen der Welt versammelt. Dort ist ihr Schloss, und das ist der Weg, den du nehmen musst. Geh auf die Spitze des Berges, um deine Moira zu finden, und reiche ihr das Brot, das ich dir mitgeben werde. Dann sage zu ihr: Liebe Moria, die du mir mein Schicksal zugeteilt hast, tausch es mir um! Und du darfst nicht fortgehen, was sie dir auch antun mag, sondern musst zusehen, dass sie das Brot in ihren Händen behält.»
So tat denn auch die Prinzessin. Sie nahm das Brot und machte sich auf den Weg, ging den Fusssteig, bis sie oben auf die Spitze des Berges kam. Sie klopfte an die Pforte und ein wunderschönes, wohlgepflegtes Mädchen öffnete und trat heraus. «Oh, du gehörst nicht zu mir!» sagte sie und ging wieder hinein.
Nach kurzer Zeit kam eine andere heraus, ebenso hübsch und schön. «Ich kenne dich nicht, mein liebes Mädchen,» sagte sie zur Prinzessin und ging wieder.
Es kam noch eine und noch eine, und viele traten heraus, aber keine erkannte sie als zu ihr gehörig, bis eine ungekämmte, zerlumpte, schmutzige an der Tür erschien. «Was willst du, Kind, warum bist du hierhergekommen?» sagte sie zur Prinzessin: «Pack dich, mach, dass du fortkommst, geh, ich werde dich töten!»
Die Unglückliche gab ihr das Brot und sage zu ihr: »Liebe Moira, die du mir mein Schicksal zugeteilt hast, tausch es mir um!» - «Weh dir! Geh zu deiner Mutter und lass dich noch einmal zur Welt bringen, lass dich an ihre Brust legen und dich in Schlaf singen, dann kannst du kommen, und ich werde dir dein Schicksal umtauschen.» Die anderen Moiren sagten zur schlimmen: »Gib doch der Unglücklichen ein anderes Schicksal! Sie gehört zu dir und taumelt dahin und ist doch eine Königstochter! Gib es ihr! Gib es ihr!» - «Ich kann nicht, sie soll machen, dass sie fortkommt!» Und plötzlich nahm sie das Brot und warf es dem Mädchen an den Kopf. Das Brot fiel herab und rollte auf den Boden. Das Mädchen hob es auf und trat wieder heran und sagte: «Nimm es, meine gute Moira, nimm es und tausche mein Schicksal um!» Aber die trieb sie fort und bewarf sie mit Steinen.
Mit einem Mal aber war es der Zuspruch der einen Moira oder einer anderen, war es die Beharrlichkeit des Mädchens, die ihr das Brot wieder und wieder reichte mit einem Mal wurde die böse Moira anderen Sinnes und sagte: «Gib es mir», und griff nach dem Brot. Zitternd stand das Mädchen vor ihr, voll Furcht, sie würde es wieder nach ihr werfen. Aber die Moira hielt es fest und sagte zur Prinzessin: «Höre, was ich die sage! Nimm dieses Knäuel» - und sie warf ihr ein Knäuel Seide zu «und bewahre es gut. Du darfst es weder verkaufen, noch verschenken. Wenn jemand es von dir haben will, darfst du es nur weggeben für das, was es selber wiegt. Nun geh und mache deine Sache gut.»
Das Mädchen nahm das Knäuel und ging zurück zur Königin. Jetzt störte sie nichts mehr.
Im Nachbarland heiratete der König, doch für das Brautkleid fehlte es an Seide, die genau zu dem Kleid passen musste. Die Schlossleute fragten überall herum, ob sie irgendetwas Passendes finden könnten. Sie hatten gehört, dass im benachbarten Königreich ein Mädchen wäre, das ein Knäuel Seide besässe. Also gingen sie zu ihr und baten sie, mit dem Knäuel zum Schloss der Braut zu kommen, damit sie prüfen könnten, ob die Seide zum Kleid passe. Als sie angekommen war, hielten sie das Knäuel an das Kleid und sahen, dass es ohne jeden Unterschied genau passte. Da fragten sie das Mädchen, was sie verlange, denn sie wollten die Seide kaufen. Da antwortete sie, dass sie diese nicht verkaufe, sondern nur aufwiegen liesse. Sie legten den Knäuel also auf die eine Schale der Waage, und auf die andere Schale legten sie Dukaten, aber die Waage rührte sich nicht. Sie legten immer mehr Dukaten dazu umsonst. Da sprang der Königssohn selber auf die Waage, und da war die Seide aufgewogen. Nun sagte der Königsohn: «Weil nun deine Seide so viel wiegt wie ich selbst, muss du, damit wir das Seidenknäuel nehmen können, mich nehmen.»
Und so geschah es. Der Königssohn heiratete die Prinzessin, und sie feierten ein grosses Fest und lebten gut und wir noch besser.

nach «Griechische Märchen», Hrsg. Felix Karlinger, Diedrichs 1990 / «Griechische Volksmärchen», Hrsg. G.A. Megas, Diedrichs Verlag 1965
bearbeitet von Christine Läubli


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