Deine Fragen im letzten Blog, liebe Gabi, finde ich zu wichtig, um sie ohne Kommentar einfach im Raum stehen zu lassen. Was ich hier anführe ist sehr subjektiv. Die Situation der weiblichen Kunstschaffenden wiederspiegelt die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft genau. Ich bin nicht der Meinung, dass wir uns die Sprache der Männer aneignen sollten, denn dann sind wir genauso „weiblich“, wie wir betrachtet werden: bereit sich anzupassen, nicht eigenständig, nicht authentisch. Warum nicht versuchen, auf unsere eigene Weise zu agieren? So wie wir nun mal sind?
Ich bin nicht ganz so pessimistisch wie du. Seit meiner Kindheit hat sich vieles im positiven Sinne für uns Frauen geändert. Das mag in einem langen Leben nicht besonders schnell gegangen sein, aber immerhin! In meiner Schulzeit waren alle Lehrpersonen in der Grundschule – ausser in der ersten und zweiten Klasse - männlich und in der Gesellschaft angesehen. Nach und nach drangten die Frauen in ihr Hoheitsgebiet ein und heute sind die Grundschulen fest in weiblicher Hand. Wen wundert es, dass bald über einer „Feminisierung“ des Lehrerberufs und die Nachteile der weiblichen Dominanz für die Sozialisierung der armen Jungs debattiert wird. Müssen die Buben tatsäächlich protegiert werden? Fehlt ihnen das männliche Vorbild? Wo bleibt denn die Stärke und Überlegenheit des Männlichen schlechthin? Das Bild, das ich letzten Mittwoch gepostet habe, steht sinnbildlich für die heutige Situation: ein altes kaputtes Fenster …
Jahrhunderte lang wurden Kinder von männlichen Lehrpersonen unterrichtet und es hat nie Klagen gegeben über deren negative Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen. Auch nicht, als die Mädchen statt Mathematik Stricken und Nähen lernen mussten. Wenn ich die Mädchen von heute betrachte, fällt mir auf, wie selbstbewusst sie in der Öffentlichkeit agieren. Sie stecken doch die gleichaltrigen Bubis glatt in die Tasche. Sie werden ihren Weg machen. Vielleicht fragen sich nach einigen weiteren Generationen die Männer, was sie falsch machen und ob sie nicht die Sprache der Frauen lernen sollten? Ich werde es nicht mehr erleben, aber was macht das schon?
Mein Hochschulstudium habe ich vor 33 Jahren (ist das schon so lange her?) abgeschlossen mit einer Studie über geschlechtsspezifisches Gesprächsverhalten in Fernsehdiskussionen. Akribisch habe ich Sprechdauer, erfolgreiche und vergebliche Versuche, Gesprächspartner_innen zu unterbrechen, und sonstige Mechanismen erfasst, das Agieren des Moderators dokumentiert, den Sprachduktus und das nonverbale Gesprächsverhalten der Teilnehmer_innen miteinbezogen, etc., etc. Das Ergebnis, was Präsenz, Haltung der Frauen und deren Behandlung seitens der Männer, war verheerender, als in meiner These formuliert. Heute sieht es schon viel besser aus, wenn auch noch lange nicht ideal.
Die kritische Berichterstattung in den Medien zeigt heute viel schneller Wirkung als früher. Nachdem 2014 in der Presse moniert wurde, dass am Filmfestival in Cannes Frauen als Produzentinnen oder Regisseurinnen mehrheitlich fehlten, trat 2015 das Schweizer Produzententeam mit sechs Frauen in Erscheinung. Diesmal fehlten die Männer.
Was ich damit sagen will: Es braucht Zeit. Männer sind für mich kein Rollenvorbild. Womit ich aber nicht meine, dass wir nur rumsitzen und warten sollen, bis unser Ziel sich irgendwie und irgendwann von selber einstellt. Wir kriegen nichts zustande ohne Kampf. Die Frage ist nicht ob, sondern wie wir das Ziel erreichen. Für mich ist die Angleichung an die Männerwelt niemals Option. Ich möchte mir nicht pausenlos Gewalt antun.
Ich habe das Interview mit Baselitz auch gelesen. Ob der Künstler provozieren wollte oder ob seine Aussage, die Frauen malten schlechter als Männer, seine eigene Meinung reflektiert, sei dahingestellt. Seine Aussage sagt weniger aus über die Qualität der Bilder von Malerinnen als über seine Geisteshaltung. Warum müssen wir über solche Plattitüden debattieren? Klar ist der Marktwert von Kunstwerken wichtig. Künstler_innen sollen von ihrer Kunst gut leben können. Wenn aber der Marktwert das einzige Kriterium ist, mit dem man Kunst beurteilt, ist etwas faul. An der „Art Basel“ dürfen gut betuchte Sammler am Tage vor der Eröffnung unbehelligt vom unbedarften Publikum schon mal reinschauen und die besten Stücke kaufen. Nicht wenige haben einen Kunstberater im Schlepptau und lassen sich von diesem sagen, welche Kunstwerke sich in ihren Safes am besten machen. Wenn man nicht einmal selber weiss, was einem imponiert, warum denn Kunst kaufen? Kunst wird degradiert als Ware, die man – hoffentlich – nach einiger Zeit mit Gewinn wieder verkaufen kann. Ist das, was Baselitz und Co. als Massstab für gute Kunst betrachten? Ich denke, viele Künstlerinnen sind anderer Meinung.
Netzwerke sind selbstverständlich wichtig. Aber inwiefern nützen Netzwerke, wenn sie „nur“ zwischen Frauen geknüpft werden? Wir brauchen Netzwerke, in denen beide Geschlechter eingebunden sind. Das zu erreichen ist nicht so einfach. Und für uns, die textil ausgerichtet sind, erst recht nicht. Als Bildhauerin oder Videokünstlerin hätte man wohl eher Chance. Haben wir möglicherweise das denkbar ungeeignetste Medium gewählt? Und ja, warum? Auch darüber liesse sich diskutieren.
Gabi und ich waren an der ETN-Konferenz in Leiden (NL) und haben dort ein wenig „genetworked“, wie man so schön auf neudeutsch sagt, u.a. während unseres Ausflugs ins Museum Rijswijk, wo vom 9. Mai – 27. September 2015 die 4. Internationale Textil Biennale 2015 gezeigt wird. Über diese Ausstellung werde ich in meinem nächsten Blogbeitrag berichten. Hier zeige ich zuerst einmal einige Bilder von Leiden und den Ausstellungen, die über die ganze Stadt verteilt waren. Heute ohne Kommentar, denn momentan bin ich dabei, meine zwei Ateliers zusammenzulegen. Vor lauter Kram finde ich nichts mehr, auch nicht meine Notizen zur Konferenz.