Freitag, 4. April 2014

teximus 1 - Ein Ausstellungsbericht

Von Cécile Trentini

Wenn man sich wochen- oder gar monatelang mit einem Thema intensiv beschäftigt, verliert man bekannterweise die objektive Perspektive. Deshalb wollten wir nicht selbst abschliessend über die "teximus 1" Ausstellung berichten, sondern haben Gudrun Heinz eingeladen, als Gast einen Beitrag für unseren Blog zu schreiben. Gudrun richtet selbst alle zwei Jahre einen Wettbewerb für Quilt Kleinformate aus (aktuell "Textile News: Langeweile. Boredom. Ennui"), dessen Exponate dann als Wanderausstellung in ganz Europa gezeigt werden und schreibt regelmässig Ausstellungsberichte im Bernina Blog; sie ist also bestens qualifiziert, uns einen Blick von aussen auf die Ausstellung zu gewähren.
Herzlichen Dank Gudrun für deinen spannenden Bericht!


teximus 1

Von Gudrun Heinz


Die mit Spannung erwartete Eröffnung der Ausstellung “teximus 1″ hat nun am Donnerstag, den 27. März 2014 in Zug (Schweiz) stattgefunden. Das Warten hatte ein Ende …


Verena Vogelsanger: Warten, Detail

… nicht nur für die herrlich-putzigen aufgereihten Gesellen im Foto oben. Auch die Veranstalterinnen im Foto unten …


Gabi Mett, Grietje van der Veen, Judith Mundwiler, Cécile Trentini (v.l.n.r.)

… formierten sich in einer Reihe, um den einführenden Worten anlässlich der Vernissage zu folgen.



Die Vernissage war sehr gut besucht


TAF.ch hatte gerufen und die Scharen strömten! Die Veranstaltung war sehr gut besucht, um nicht zu sagen, es war so voll, dass zeitweilig kein Durchkommen war und man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte.


Martha Roggli: Orakel, Detail


Die Organisatorinnen wollten viele Besucher erreichen und das ist ihnen gelungen. Mehr, viel mehr Besucher als erwartet kamen an die Ausstellung. Eine, wenn auch geschätzte, sehr hohe Besucherzahl, nämlich etwa 800 innerhalb der wenigen Ausstellungstage, spricht für sich.


Blick in die Ausstellung

Auf die Besucher wartete eine breit gestreute Vielfalt textiler Kunst - die Exponate übertrafen alle Erwartungen. Ich fing einige Stimmen ein und das Ergebnis meiner kleinen Umfrage unter den Vernissagebesuchern lautete unisono: „Sehr schöne Ausstellung, sehr sehenswert, eine Empfehlung”.


Regula Verdet-Fierz: Sofia 11


Mit ihren einführenden Worten erinnerte Gabi Mett zunächst nochmals an die Anfänge der Gruppe TAF.ch, die sich 2010 gründete, um die Textilkunst in der Schweiz bekannter zu machen, die Anerkennung dieser Kunstform voranzutreiben und …

Grietje van der Veen: Grimsvötns Gletscherlauf

… um den Austausch unter den Textilschaffenden zu fördern und zu vernetzen. Ziele, die, um es vorwegzunehmen, mit „teximus 1“ auch erreicht wurden. Wichtige Schritte in die richtige Richtung!

Marianne Göddemeyer: Filz-Klang, Detail

Nach einer ersten erfolgreichen Ausstellung von Werken der Gruppenmitglieder im Jahr 2012 beschlossen sie, das Experiment zu wagen und einen Wettbewerb auszuschreiben.

Judith Mundwiler: move on – weitergehen, Detail

Die Besonderheit: Dieser Wettbewerb wurde so offen wie möglich gehalten und durchgeführt. Alle Sparten textilen Schaffens waren willkommen, Grenzen waren lediglich durch die Kapazität der Ausstellungsräume und dadurch gesetzt, dass nur teilnehmen konnte, wer in der Schweiz wohnt.

Blick in die Ausstellung

Endlich ist das Denken in Schubladen in Auflösung begriffen! Dieser sehr lobenswerte Ansatz eröffnete den Teilnehmern eine riesige Spielwiese, um sich selbst thematisch und künstlerisch zu verwirklichen, nach eigenem Dafürhalten zu gestalten und eine Position zu vertreten.

Margrit Dällenbach: Meches rouge, Detail

Der Mut wurde reich belohnt: 163 Werke wurden von 85 Teilnehmerinnen - Männer waren keine darunter - eingereicht und stellte die fünfköpfige Jury vor eine Herausforderung.

Martin Asal, Lehrer für bildnerisches Gestalten und Werken, Mitglied der Jury

Jurymitglied Martin Asal ging auf den Selektionsprozess ausführlich in seiner Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung ein. Gewissenhaft und kompetent habe man sich mit der Aufgabe auseinandergesetzt und in mehreren Runden eine breit gefächerte Auswahl getroffen.

Annemie Lieder: Winter (li), Kastanienblätter 2, Detail (re)

Schlussendlich schafften es 54 Arbeiten in die Ausstellung, die durch ein hohes künstlerisches Niveau überzeugten. Diese Auswahl werde der enormen Vielfalt der eingereichten Werke gerecht, liest man im Katalog im Jurybericht der Kunsthistorikerin Yvonne Türler-Kürsteiner, die fortfährt: „… (sie) gibt Einblick in den unerschöpflichen Reichtum von textilem Schaffen.“

Katharina Osterwalder, Handwebmeisterin, Mitglied der Jury: Leinen

Der „unerschöpfliche Reichtum textilen Schaffens“ - Yvonne Türler-Kürsteiner spricht von „Nähen, Weben, Filzen, Sticken, Quilten, Stopfen, Knüpfen, Klöppeln“ - war ganz zweifellos vorhanden, indes führte er ein wenig ein Schattendasein.

Gerda Ritzmann: Wie es so kommt 2, Detail

Insidern mag es sich erschlossen haben, aber leider hatten die Organisatorinnen darauf verzichtet, irgendwo - zum Beispiel im Katalog - eine Angabe darüber zu machen. Dies …

Maja Andrey: Morgenlicht

… greift zu kurz und stellt mich nicht zufrieden, denn gerade dies macht einen Teil der Vielfalt aus. Wenn eine textile Technik (wie das Stricken) in Kombination mit einem dafür ungebräuchlichen Material (wie Draht) ausgeführt wird,

Anna Affolter: ohne Titel 1, Detail

wenn Papier so reich benäht wird, dass es einen anderen Charakter annimmt, so dokumentiert gerade dies die Idee und Kreativität der Schöpferin, die dies bewusst mit Gestaltungsabsicht so und nicht anders ausführte. Dies verdient unbedingt eine Erwähnung, gerade wenn ein Wettbewerb erfreulicherweise so offen dafür ist und die Künstler die Chance, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, nutzten.

Esther Grischott: Schnee, Detail

Die Themen und Interpretationen waren sehr vielfältig und individuell. Der Bogen spannte sich von figürlichen Darstellungen …

Regina Augustiny: Kinderhochzeit, Detail

… bis hin zu abstrakten Arbeiten,

Beata Keller-Kerchner: B.C.1: One bleak morning (li), B.C.3: Freefall (re)

von teilweise kompakt anmutenden grossen Formaten …

Verena Vogelsanger: Tanzen (li), Nicole Liersch: Ur (re)

… bis hin zu fragiler Leichtigkeit,

Rosmarie Artmann-Graf: Blumen der Nacht, Detail

von Stimmungsbildern …

Ursula Buser: Alpmittag, Detail

… bis zur Interpretation des Ausstellungstitels „teximus“, (das sich von „texere“, lat. = weben, zusammenfügen ableitet),

Marianne Bender: Tissage VI/Les Accrocs du bonheur, Maryline Collioud-Robert: Eclats, Edith Bieri: teximus (v.l.n.r.)

vom Experiment …

Beatrice Lanter: hinten IV, Detail

… bis zum ausgefeilten Statement.

Cäcilia Arnold: Maroni, Brot der Armen (re vorn)

Cäcilia Arnold: Maroni, Brot der Armen, Detail


Fast alle der beteiligten Künstlerinnen waren anwesend und gern zu individuellen Gesprächen bereit. Beispielsweise erfuhr ich von Orfea Mittelholzer, dass sie seit Jahren mit dem Werkstoff Papier arbeitet.

Orfea Mittelholzer: Sedona, Detail

Nach einer alten japanischen Methode gelingt es ihr, aus Zeitungspapier ein Garn zu spinnen und dies weiter zu verarbeiten, sogar zu verstricken. Eine verblüffende Wirkung – wie die Skulptur „Sedona“ beweist.



„Das ganze Leben ist Wandlung und Loslassen“ - Manuela Rami stellt dies durch die Seidenraupe in ihrer Arbeit „Metamorphose“ dar, eine gelungene Hommage an ein Wunder der Natur, eine Ehrerbietung an ein Tier, das sein Leben lässt, um uns mit dem edlen Material zu beschenken. Die Vegetarierin ist, wie sie mir sagte, dankbar und gleichzeitig betroffen.

Manuela Rami neben ihrer Arbeit „Metamorphosen“


Aber auch ein ganz anderer Aspekt dieser Ausstellung tritt in dieser Unterhaltung noch zutage: Gespräche bahnen den Austausch unter den Künstlerinnen und auch mit Besuchern an – unbedingt ein Gewinn, nicht nur, wenn man in einer Region zu Hause ist, in der es an Gleichgesinnten und Gesprächsgelegenheiten mangelt.

Christine Läubli: Beziehung, Detail


Allerdings war die Identifizierung der Exponate im Gedränge der vielen Besucher nicht ganz einfach - erst musste umständlich nach winzigen Nümmerchen gesucht und diese mit Verkaufslisten - sofern greifbar - verglichen werden.

Cécile Trentini: Alltagstrott (li), Gabi Mett: Gedankengänge (re)

Liebe Veranstalterinnen, bitte mehr Mut und Verständnis für die Besucher! Es ist sicher nur eine verzeihliche Kinderkrankheit angesichts der Mammutaufgabe der Organisation einer solchen Ausstellung.

Meret Bützberger: Urbana no. 1, Detail

Auch aus Respekt vor den Teilnehmerinnen und erst recht bei diesem Besucheraufkommen wäre es schön und einfacher gewesen, neben jedem Exponat ein dezentes Schild mit dem Titel des Werks und dem Namen der Künstlerin zu finden. Ein Werk auf sich wirken zu lassen ist das eine, aber auch ein Titel sagt etwas über die Arbeit aus.

Textilkünstlerinnen unter sich: Gabi Mett im Gespräch mit Monika Sebert (re)


Insgesamt gesehen war diese Ausstellung jedoch ein voller, strahlender Erfolg. Sowohl die hinter TAF.ch stehenden Künstlerinnen Gabi Mett, Grietje van der Veen, Judith Mundwiler und Cécile Trentini, als auch der Modus des Wettbewerbs als auch der Veranstaltungsort boten als Gesamtpaket die Gewähr, dass hinter dieser Ausstellung „etwas steckt“.

Laura Stauffer: Hoffen auf Regen, Detail

Offensichtlich wurde ein Nerv getroffen. Offensichtlich bestand das Bedürfnis nach einem solchen Event seitens der Teilnehmer wie auch seitens der Besucher, die an allen Tagen und zu jeder Zeit zahlreich erschienen sind. Neun Werke wurden verkauft. Ein Eintrag im Gästebuch bringt die Reaktionen auf den Punkt; da stand: „auf TAF hat ch gewartet" – prima! Ganz herzliche Glückwünsche!

Blick in die Ausstellung


Wie ernst es TAF.ch mit der Förderung der Textilkunst ist, wird durch die Änderung des Ausstellungstitels durch Anhängen einer 1 und einen Blick in die Zukunft deutlich: geplant ist „teximus 2“. Angedacht sind Wettbewerbe und Ausstellungen im zweijährigen Rhythmus, in der Zuger Altstadthalle mit ihrem tollen Ambiente … sehr gerne habe ich die Einladung, diesen Gastbeitrag zu verfassen, angenommen. Nun bin ich gespannt, wie es weitergeht.

Verena Vogelsanger: Warten

Text + Fotos: Gudrun Heinz, Karlsruhe

Vgl. bitte auch meinen Bericht im BERNINA blog: http://blog.bernina.com/de/2014/03/teximus-1-vernissage

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (Preis Fr. 32..- plus Porto Fr. 3.-), zu beziehen bei jmundwiler@bluewin.ch

Zur (nicht nur von Gudrun) erwähnten Kritik, dass nirgends angegeben wird, in welcher Technik ein Werk ausgeführt wurde, möchten wir kurz Stellung nehmen:
Wir haben ganz bewusst, darauf verzichtet, die Angaben zur den verwendeten Materialien und Techniken in den Katalog oder die Werkliste aufzunehmen. Es ging uns darum, eine Kunstausstellung und keine Handwerksausstellung zu zeigen; die Technik soll in den Hintergrund treten, der Betrachter unvoreingenommen, ohne den "Wissens-Ballast" um die angewandte Technik, das Werk betrachten, entdecken und auf sich wirken lassen können.
Es ist uns bewusst, dass viele der BesucherInnen selbst "textil tätig" sind und wir haben auch Verständnis für ihre Neugierde auf die Machart eines Werks, dennoch geht es uns letztlich darum einem "breiten Publikum", die Textilkunst näher zu bringen, und diesem Publikum bedeuten Begriffe wie "gestrickt, frei-hand gequiltet", usw. wenig bis gar nichts; es soll die Textilkunst entdecken, als das was sie ist: eine vollwertige künstlerische Ausdrucksform, die sich mühelos in die Reihe der anderen Kunstsparten einreiht. In diesen Sparten wird auch nicht darauf hingewiesen mit welcher Technik eine Arbeit ausgeführt wird. Nehmen wir die Malerei, da steht vielleicht "Öl auf Leinwand", aber nicht ob diese Ölfarbe nun pastos oder lasierend, mit dem Pinsel oder dem Spachtel aufgetragen wurde. Dass die Werke textil sind, dem Pendant zu "Öl auf Leinwand", musste ja nicht besonders erwähnt werden. Wir wollten auch Textilschaffende dazu auffordern beim Betrachten einer textilen Arbeit, vor allem die gestalterischen Qualitäten wahrzunehmen und für einmal die technischen Aspekte ausser Acht zu lassen. Dass wir mit dieser Ansicht nicht alleine dastehen, beweisen uns andere positive Reaktionen, wie z.B. folgende Bemerkung einer an der Ausstellung nicht vertretenen Textil-Künstlerin, die zum Katalog meinte: "Ich war auch sehr angetan darüber, dass einfach nichts über Material usw... stand. So soll es sein!!!".
Dies unsere Beweggründe; wir nehmen die Kritik aber ernst und werden das Thema bei der Gestaltung des nächsten Katalogs sicher nochmals eingehend diskutieren.
Zum Thema "Beschriftung der Werke" nehmen wir die Kritik gerne als Anregung entgegen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Immerhin haben wir nach der Vernissage, die zugegeben winzigen Nummern durch grössere ersetzt und auch wesentlich mehr Kopien der Werkliste aufgelegt. Aber dies ist sicher ein Punkt, den wir bei "teximus 2" besser lösen müssen.

Ihr TAFch Team

2 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diesen tollen Bericht. So konnte ich doch noch an der Ausstellung teilnehmen, wenn leider auch nur virtuell. Sehr gelungen, wie ich finde. So ein tolles Ergebnis lässt vielleicht die dafür nötige viele Arbeit in den Hintergrund treten und es gibt ein Gefühl, dass sich alles gelohnt hat.Und schön finde ich es, dass so viele verschiedene textile Werke zu sehen sind.Dazu muss man sonst ja verschiedene Ausstellungen besuchen, es ist selten so schön vereint.Auch ich frage mich immer, wie ist das gemacht?Aber ohne Erklärungen bleibt es meiner Fantasie überlassen,was da wie entstanden ist.Eben eine Kunstausstellung. Die Begründung kann ich nachvollziehen und schließe mich ihr an.Es war klasse, so viel hier von der Ausstellung zu lesen.Wie schön, dass es taf.ch gibt. Danke und weiter so.LG Anette

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  2. halli hallo,

    mein beitrag erschien hier unmittelbar bevor ich nach prag zum PPM abreiste und direkt nach rückkehr gab es noch familiäre verpflichtungen, die mich vom konzentrierten lesen abhielten.

    ich würde gerne noch eines richtigstellen: cécile schreibt in ihrer einleitung, dass ich wettbewerbe für quilt kleinformate ausrichte. ich wählte von anfang an nicht nur den untertitel "wettbewerb für kleinformate", sondern meinte dies auch so. ich legte und lege wert darauf, dass sich meine wettbewerbe und die daraus resultierenden ausstellungen gerade nicht auf quilts beschränken, sondern es konnte und sollte mit jeder beliebigen textilen technik sowie material gearbeitet werden, die für die interpretation des themas und zum transport der gestaltungsidee opportun ist.
    die offenheit von teximus geht in die gleiche richtung - endlich einmal kein denken in schubladen (quilts, tapisserie, gestrick, gobelin ... als besipiele für die etiketten dieser kategorien) mehr!

    beste grüsse
    gudrun

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