Freitag, 9. April 2021

Anni and Josef Albers by Vera Lake

Buchbesprechung von Christine Läubli

 Karen Stein, Brenda Danilowitz (Hg.)

Anni and Josef Albers by Vera Lake
Hatje Cantz Verlag 2021, 192 Seiten, 15,50 x 16,10 cm, 300 Abbildungen, Freirückenbroschur, CHF 29.90, Euro 24, englischer Text
ISBN 978
-3-7757-4888-9
www.hatjecantz.de


Die deutschen Künstler Anni und Josef Albers arbeiteten lange Jahre im Bauhaus Dessau und Berlin. Josef (1888-1976) leitete den Vorkurs als Bauhausmeister, Anni trat 1921 als Studentin in die Schule ein, wo man sie gegen ihren Willen in die Weberei einteilte. 
Nach anfänglichem Sträuben liess sie sich für das Handwerk und dessen gestalterischen Möglichkeiten begeistern und blieb auch nach der Ausbildung weiter in der Abteilung.
Josef und Anni besassen beide eine Leidenschaft für Materialien wie Stoff, Glas, Metall, Kunststoff. Sie heirateten 1925. Als das Bauhaus 1933 auf Druck der Nationalsozialisten schliessen musste, emigrierte das Paar in die USA. Dort vermittelten Anni und Josef Albers die Philosophie des Bauhauses am Black Mountain College in North Carolina.


Buch Cover



Zwei Künstlerpaare im Dialog: Anni und Josef Albers, Weberin und Maler – Francisca Rivero-Lake Cortina (*1973) und Carla Verea Hernández (1978), Fotografinnen aus Mexiko, zusammen als Lake Verea auftretend.
Die beiden Künstlerpaare teilen nicht nur die austauschende Arbeitsweise. Bei beiden findet man ein besonders feines Gefühl fürs Haptische, und bei beiden erkennen wir einen Faden nach Mexiko: Während die Fotografinnen in diesem Land geboren wurden und leben, verband das Ehepaar Albers eine besondere Beziehung mit ihm. Es begeisterte sich für die präkolumbianische Kunst der Maya und Azteken, reiste mehrfach nach Mexiko, Peru und Kolumbien und legte eine bedeutende Sammlung historischer Kunst an.


Lake Verea



2016 lernten Lake Verea die Chefkuratorin der Josef and Anni Albers Foundation Brenda Danilowitz kennen. Wenige Monate später erhielten sie eine Einladung, im Frühling 2017 zwei Monate in der Foundation in Bethany Connecticut zu verbringen und sich mit dem Archiv zu beschäftigen.
Natürlich hätten Lake Verea den Inhalt des Archivs einfach abfotografieren können. Doch sie gingen viel tiefer, suchten die Menschen hinter den Hinterlassenschaften, deren künstlerische Denkweise, Philosophie und charakterlichen Eigenheiten. Daraus entstand dieses berührende Buch.
Als Lake Verea eintrafen, war das Haus, in dem Anni und Josef gewohnt hatten, gerade zum Verkauf ausgeschrieben. Die Fotografinnen gaben ihr Interesse vor, trafen die Maklerin und erhielten so Zutritt. Die Architektur des Hauses erzählte ihnen erste Geschichten über die Menschen, die hier gelebt hatten.


Blick ins Haus, in dem Anni und Josef Albers gelebt hatten



Lake Verea begannen ihr Projekt mit den Weihnachtsgrüssen, welche Josef und Anni aufgehoben hatten. Ob die Absender die Karte selber gezeichnet, gemalt oder fertig gekauft hatten – es waren oft berühmte Persönlichkeiten, die hier in einem privaten Kontext auftauchen. Viele dieser Namen fanden Lake Verea später auch im blauen, umfangreichen Gästebuch des Ehepaars. 
Im Archiv sind auch die weissen, abgetragenen Malerhemden von Josef und Anni aufbewahrt, die noch etwas von der physischen Präsenz des Künstlerpaares enthalten.


Josefs Malerhemd


Eine Kamera aus Josefs Sammlung



Josef Albers hinterliess an persönlichsten Gegenständen ein Gedichtbuch, seine Geldbörse und einen Rosenkranz, ausserdem findet sich eine Fotokamerasammlung, welche die Fotografinnen wegen ihrer hohen Qualität begeisterte. Kontaktabzüge mit handschriftlichen Bemerkungen führen in die systematische Arbeitsweise des Künstlers ein.
Die Kistchen voller Farbtuben, auf denen Josefs Fingerabdrücke zu erkennen sind, erzählen von seinen Malereien und Farbforschungen. Auf unzähligen Papierstreifen erprobte der Künstler Farbmischungen, -kombinationen, -kontraste, -abstufungen. Seine berühmten Werke mit den drei ineinander geschachtelten Quadraten hängen fast in jedem Museum der Welt. In meiner Heimatstadt Winterthur finde ich eine Ausführung in Grauabstufungen. Vielleicht waren die Grau-Proben im Archiv die Vorübungen zu «meinem» Winterthurer Bild?


Ein paar Farbtuben von Josef Albers 


Ein Experiment mit dem Pinsel


Bild von Josef Albers im Kunstmuseum Winterthur, Schweiz (Foto: Christine Läubli)



Anni Albers war Handweberin. Die Systematik der Weberei kam ihrem Naturell entgegen. Sie erkundete solche Gesetzmässigkeiten nicht nur auf dem Webstuhl, sondern auch mit der Schreibmaschine, mit Zeichnungen oder Perforierungen auf Papier, wovon noch einige Zeugnisse im Archiv vorhanden sind.
Annis Webstuhl besass zehn Tritte und mindestens acht Schäfte. Meistens setzte sie jedoch einfache Bindungen ein, die mit vier Schäften machbar sind. Vielleicht brauchte sie die übrigen, um Musterfäden einzulegen? Für das Grundgewebe konnte sie jedenfalls einen Schnellschuss bedienen – der Griff und die Vorrichtung sind auf den Fotos gut zu erkennen. Beim Webzubehör, das die Fotografinnen für ihr Bild ausgelegt haben, erkennt die Weberin Reedekämme, Schärbrettchen, Litzen, ein einfaches Handspulgerät, ein Messband, Schafthalter, einen Kammstecher. Wo blieb wohl der Litzenstecher? Auch abwesende Gegenstände können eine Geschichte erzählen.



Annis Webstuhl


Wie Josef erforschte auch Anni ihr Handwerk in zahlreichen Musterproben und legte jeweils eine Gewebeprobe neben der entsprechenden Patrone ab. Lake Verea präsentiert eine Fülle von Gewebemustern – die Weberin versucht, Bindungen sowie Kette und Schussrichtungen zu eruieren ... (Warum wohl ist bei einem Pfauenaugegewebe eine Leinenbindungspatrone abgeheftet?)


Muster von Anni Albers mit der Schreibmaschine


Anni webte nicht nur auf dem Webstuhl, sie konnte auch auf einem Zeitungsblatt Fäden einspannen, in die sie dann Schüsse einflocht. Auf kariertem Papier malte sie grossflächige Gewebebilder, die als konstruktive Kunst durchgehen könnten. Später, als die Hand im Alter nicht mehr gut gehorchte, wurden die Zeichnungen freier, nun erinnern sie an präkolumbianische Zeichen und Schriften.
Während das Kapitel über Josefs Erbe mit seinen persönlichsten Besitztümern beginnt, endet jenes von Annis mit den ihren: ein Schlüsseletui, der Pass, eine Pfauenfedermaske, die Brille. Ausserdem eine braune Handtasche mit vier Pennies, Kofferschlüsseln, American Express-Schein und als intimstem Gegenstand einem Tuch, an dem sie ihr Makeup abgewischt hatte.



eine späte Zeichnung von Anni Albers


Der Pass von Anni Albers


Die Gestaltung des Buches entspricht dem intimen Thema. Das Werk ist klein, und das nahezu quadratische Format verweist auf die quadratischen Bilder von Josef Albers. Die «unfertige» Freirückenbroschur passt zu den unzähligen Mustern und Experimenten, an denen man durch die Fotos teilhat. Das Cover zeigt auf der Rückseite eine Fotomontage: Lake Verea schaut dem Ehepaar Albers über die Schulter. 
Die beiden Fotografinnen gehen sehr nahe an die Gegenstände heran und erfassen das Erbe des Künstlerpaars Albers in aussergewöhnlicher Lebendigkeit. Man meint, man könne die Gegenstände unmittelbar anfassen. Jedes Objekt erzählt eine Geschichte und verleiht der Fantasie Flügel. Man sieht Anni und Josef Albers arbeiten, denken, sich mit anderen Künstlern austauschen und darf dabei sein.


 

 











































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