Freitag, 2. März 2018

Vermächtnis


von Grietje van der Veen

Immer wieder liest man in Biografien von Frauen, die erstmals in Kontakt mit textiler Kunst kommen: «Von da an war ich süchtig» o.ä. Ich bin mit so einem Menschen aufgewachsen, obwohl er nie behauptet hat, er sei dem Textil verfallen. Er war es einfach. Es war nicht die «Kunst», sondern das «Textil» oder die Weberei. Ich spreche von meinem Vater, von dem seine Eltern fanden, er hätte als 14-Jähriger genug gelernt und müsse nun mal Geld verdienen. Sie schickten ihn in eine Textilfabrik wie damals üblich bei vielen Jungs in dieser Zeit. Er liebte aber die Arbeit und holte nach und nach seine Ausbildung nach, teilweise unterbrochen durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Ich weiss noch, wie ich als kleiner Knirps auf einem Stuhl kniend fasziniert zuschaute, wie er allerhand Stückchen Stoff zerpflückte und ganze Blätter Millimeterpapier vollmalte mit Mustern, von denen ich nichts verstand. Für mich war es wie Zauber. ich wusste da noch nicht, dass es sich um Aufgaben für die höhere Textilschule handelte.

Die Konsequenzen dieses Studiums bekam ich zu spüren, als er zum Technischen Direktor einer Textilfabrik ernannt wurde. Diese Anstellung und der dadurch notwendige Umzug in eine andere Stadt stellte das Leben der Familie auf eine harte Probe. Mein Vater ging voll und ganz in seiner Arbeit auf. Meine Mutter aber war, abgeschnitten von der Unterstützung ihrer Schwestern und Eltern, hoffnungslos überfordert mit ihren vier Kindern. Kurz gesagt: Es war von da an nicht mehr lustig. Der Zauber war verflogen.

Kurz vor seinem Ableben schenkte mein Vater mir seine Arbeitsbücher für die «Hogere Textielschool». Jahrelang ruhten sie bei mir hinten im Schrank, bis ich sie endlich mal hervorkramte. Was geschieht mit ihnen, wenn ich nicht mehr bin? Sicher landen sie auf dem Müll oder im Altpapier. Das wäre aber trotz allem schade. Also beschloss ich, etwas damit zu tun. Ich begann mit dem einfachen Arbeitsheft, auf dem «Calculatie» stand (Kalkulation auf Deutsch). Es enthielt Berechnungen über Gewicht, Länge der Ketten- und Schussfäden pro Quadratmeter, Preise etc. Alles in regelmässiger altmodischer Schrift und in alter Rechtschreibung.

Als Versöhnungsangebot entschloss ich mich, seine Notizen und Berechnungen mit meinen Probestücken von textilen Techniken – Färben. Batik, Shibori, Stempeln, Drucken, Rosten – zusammenzufügen. So entstanden viele Collagen von 20 x 20 cm, von denen ich 20 zu einer grösseren Arbeit verwendete. In jeder Collage ist mindestens ein Stück seiner Notizen verarbeitet.


  Aus einigen Heftblättern bildete ich eine Art Kreuz, nachdem ich sie teilweise bestickt hatte.
 
 
 
 
Das Werk hat nebenbei einen grossen Vorteil: Da die Quadrate auf Tüll genäht sind, können sie zu einem kleinen Paket zusammengelegt werden.



 
Ob die Übung etwas gebracht hat? Vielleicht. Bin ich jetzt mit meiner Kindheit und Jugend versöhnt? Schwer zu sagen.

Auf jeden Fall gehe ich jetzt viel objektiver und lockerer an das zweite Arbeitsbuch mit dem Titel: «Compositieboek» (Kompositionsbuch) heran. Darin entwarf er Webmuster, die im Verlauf der Zeit immer komplizierter wurden.


Ich habe das Buch auseinandergenommen, was mir leichtfiel, weil der Rücken schon abgefallen war.

Ich möchte die Blätter teilweise besticken (einige sind schon in Angriff genommen) und dann wieder neu binden.
 

 

Es bleibt also bei der Buchform. Eine heikle Aufgabe, denn wenn die Nadel schon mal Löcher ins Papier gemacht hat, gibt es kein Zurück mehr. Ausserdem bin ich mit dieser Art von Arbeit nicht sehr vertraut.

Sollte ich danach immer noch weitermachen wollen, gibt es noch ein drittes Arbeitsbuch «Decompositieboek» (Dekompositionsbuch).
 
Hier analysierte mein Vater vorgeschriebene Stoffmuster und beschrieb den Webprozess auf der gegenüberliegenden Seite. Das wäre für mich die grösste Herausforderung, denn die Muster und Zeichnungen sind beidseitig angebracht.


 
Die zündende Idee ist mir noch nicht gekommen. Na ja, vielleicht kommt es auch nicht mehr dazu. Ich werde ja schliesslich auch nicht jünger. Die Zeit wird es zeigen.


6 Kommentare:

  1. Bel Hommage bel héritage Beau travail bravo

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  2. Liebe Grietje, eine wunderbare Idee! so können die Arbeitsbücher deines Vaters weiterleben und Seine und Deine Geschichte erzählen.

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    1. Wie gesagt: Es ist besser, mit den Büchern etwas zu machen, als die sie später auf den Müll zu werfen. Es sind Zeitzeugen. Eine Ausbildung ohne Internet!!

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  3. Eine zutiefst berührende Geschichte. Ich hoffe, dass nicht nur das zweite, sondern auch das dritte Buch fertig wird und wir uns alle noch an diesem Projekt erfreuen dürfen.

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    1. Danke Gabi,
      Es wird ein bisschen dauern, denn ich habe auch andere Projekte. Ich bleibe aber dran!

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