Freitag, 19. Juni 2015

Interview mit Anne Ulrich

 von :

Gabi Mett


Ich möchte Ihnen heute eine deutsche Künstlerin vorstellen, die ich schon seit einigen Jahren kenne und mit der ich auch schon zusammen ausgestellt habe. Sie ist einen interessanten künstlerischen Weg gegangen, hat schon sehr früh, bereits mit 16 Jahren, Kontakt zur Kunstszene gehabt und hat im Laufe der Jahre auch die textile Kunst für sich entdeckt. Sie vertritt nachdenkenswerte Ansichten, was die Kunst im Allgemeinen und die Textilkunst im besonderen angeht. Aber lesen Sie selbst:


 
 
  • Wie war Ihre Ausbildung ?
Studiert habe ich an der damals neu gegründeten Fachhochschule in Dortmund, Design und freie Malerei und war u.a. Schülerin von Pitt Moog, Pan Walter, Hartmut Böhm und Gustav Deppe.





  • Wie war der Werdegang als Künstlerin? Können Sie etwas über Ihren Hintergrund erzählen?

Eine grundsätzliche Prägung habe ich sicherlich durch meine Mutter erfahren, die als gelernte Schneiderin ihre Arbeiten zuhause anfertigte und mir alle Freiheiten ließ, mich mit den mystischen Tiefen ihres Nähkorbes auseinander zu setzen. Und was ist schon faszinierender für ein Kind, als wenn aus einem Stück Stoff, mit Hilfe eines Schnittmusters, einer Anprobe, ein Kleidungsstück mit „ Wiener Naht“ entsteht. Aus der Fläche ein Objekt! Nach wie vor bin ich tief berührt, wenn ich eine alte Knopfkiste finde oder einen alten Nähkorb entdecke, der eigenartigerweise auch von Frauen gehütet und weitergegeben wurde, die gar keinen textilen Bezug haben. Ich glaube das Letzte, was Frauen vernichten können, sind die Handarbeiten, Knopfkisten und Nähkörbe ihrer Großmütter. Oftmals findet man in diesen Knopfkisten auch gut gehütete Geheimnisse und Familiengeschichte. Offenbar hat sich im kollektiven, weiblichen Unterbewusstsein ein tiefe Achtung für den künstlerischen Stellenwert der textilen Handarbeit erhalten. Gerechterweise muss ich erwähnen, dass es auch einigen Männern so geht.



  • Sind Sie durch einen Lehrer inspiriert worden? Welche Stationen waren für Sie von besonderer Bedeutung für Ihre künstlerische Arbeit? (eigene Ausstellungen, Begegnungen, Erlebnisse...) 
 
Ja, durch meinen damaligen Kunstlehrer (Hawoli). Als bildender Künstler lud er mich zu seinen und anderen Ausstellungen ein und ich bekam schon früh Kontakt zur konkreten Kunst und ihren Künstlern wie Schoonhoven, Luther, Morellet, Reusch und habe ihre ersten Ausstellungen in der neu gegründeten „Galerie M“ in Bochum gesehen. Allerdings habe ich auch tiefe Einblicke in den Kunstbetrieb bekommen und das hatte eher abschreckende Wirkung. Anfang der 70er waren dann Happenings und Fluxus angesagt und ich musizierte z.B. als Gastspielerin im Jupp van de Flupp Orchester und habe die Waschtrommel gespielt. Ich habe dann viele Stilrichtungen ausprobiert, bin aber immer wieder zur Reduktion zurück gekehrt.



 
  • Haben Sie sich für andere Kunstrichtungen interessiert, bevor Sie sich für das Textile entschieden haben? Wie ist das aktuell? 

Na klar und immer noch! Für mich bietet aber das textile Arbeiten andere künstlerische Umsetzungsmöglichkeiten und mehr Freiräume als andere Techniken und da ich mich als konkrete oder minimalistische Künstlerin verstehe, entstehen meine textilen Objekte aus meiner Malerei und meinen Zeichnungen. Zweidimensional und konkret angelegt, entwickeln sie als Objekt oder Installation ihr Eigenleben und die Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit wird
fließend.




  • Mit welchem Material arbeiten Sie heute am liebsten?
 
Eigentlich arbeite ich am liebsten mit textilen Materialien, weil die tatsächlichen Ergebnisse und Raumwirkungen einfach überraschender und ungewohnter sind.
 
 


 

  • Mit welcher Technik arbeiten heute Sie am liebsten? 

Die Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Technik für mich eigentlich nur Mittel zur Zielerreichung ist und zwangsläufig unterschiedlich ist.



 
  • Welche Ziele verfolgen Sie inhaltlich? 

Mich treibt, auch rückblickend betrachtet, die Neugier, das Machen und neue, unerwartete Dinge in den Raum setzen. Aber auch als Künstlerin eigenständige, weibliche Positionen zu entwickeln und unabhängig von Marktmechanismen arbeiten zu können. Meine Arbeit sehe ich als fortwährende, prozesshafte Installation. Inhalt und Form verbleiben nur für einen temporären Zeitraum. Der fortlaufende Entstehungsprozess eines Werkes unter Einwirkung von Zeit, Raum, Gegebenheiten, wie Berührung, und Transport, ist wichtiger als die dauerhafte Sicherung. Eine Installation die sich teilweise auch aus sich selber verändert, durch neue örtliche Gegebenheiten und Begegnungen beeinflusst wird und beeinflusst, vergleichbar dem menschlichem Lebensprozess.




  • Sehen Sie sich durch die Wahl von Material und Technik in der Präsentation in der Öffentlichkeit eingeschränkt? 

Ich sehe mich eigentlich weniger durch die Wahl von Material und Technik eingeschränkt, sondern mehr durch die Tatsache, das Künstlerinnen generell in der Präsentation in der Öffentlichkeit benachteiligt werden und wurden. So liegt der Anteil an ausgestellten Künstlerinnen in großen Häuser und Galerien in Deutschland ungefähr bei 10-15%, wobei hierbei der Anteil von Künstlerinnen, die ab den späten 80er Jahren tätig sind, eindeutig überwiegt. Das heißt die eigenständigen, künstlerischen Positionen von Frauen ab 1900 (bis auf ein paar Vorzeigekünstlerinnen und dann meistens noch aus dem Dunstkreis von bekannten Männern) sind so gut wie gar nicht bekannt. Unverständlich ist es weiterhin, dass es für die Präsentation von Künstlerinnen extra Frauenmuseen geben muss. Der Herrensalon (Museum) wird zwar durch die Steuerzahlerinnen unterhalten, ist aber weiterhin für die Damen schwer zugänglich. Wie soll sich da ein überwiegend weiblich besetztes Material (s. auch Stichwort weibliche Arbeit / Krünitz -Oekonomisch-technologische Encyklopädie-) wie Stoff da durchsetzen, zumal wenn es gemessen an Stahlskulpturen so vergänglich ist und die allgemeine Kunsttheorie männlich geprägt ist. Kurzum, gibt es eigentlich eine Doktorarbeit über den gesellschaftlichen Stellenwert der weiblichen Aussteuer ?



  • Sehen Sie sich dadurch weniger als Künstler akzeptiert? 

Mit Sicherheit werden Künstler/innen, die dann auch noch textil arbeiten, weniger akzeptiert. Aber darin sehe sich ich gerade die große Herausforderung, der Handarbeit ihren künstlerischen Stellenwert zukommen zu lassen. Alles andere wäre auch Verrat an allen unbekannten weiblichen Vorfahren, die keine andere Möglichkeit hatten, sich künstlerisch auszudrücken . Wenn ihre Arbeiten überlebt haben, wird allenfalls noch das Kloster genannt, indem ihre Arbeit angefertigt wurde. Aber da selbst deutsche Frauenmuseen heute noch Probleme haben, textile Arbeiten auszustellen, kann man eigentlich schon von Benachteiligung sprechen. Man spricht selbstverständlicher von Gartenkunst, Kochkunst, Schnitzkunst, Schriftkunst (erst recht, wenn Männer beteiligt sind), als von Textilkunst. Warum eigentlich ?



  • Welche aktuellen Projekte stehen an? 

Im Moment stehen keine Projekte an. Eigentlich lasse ich die Projekte eher auf mich zukommen, lasse mich überraschen und das klappt eigentlich recht gut.



  • Die heutige Kunstszene steht immer mehr im Zeichen der Projekte. Haben Sie schon Projekte mit anderen Künstlern durchgeführt? 

Ja, mehrfach und gerne, ein Beispiel sind mehrere Ausstellungen mit der Gruppe 4fach. Wenn man in einer Gruppe eine Ausstellung vorbereitet, kommen viele Inhalte und Aspekte hinzu, die für den einzelnen Künstler und auch für den Besucher inspirierend sind, wobei für mich auch immer interessante Räume wichtig sind, wie die Scheidtschen Hallen in Essen-Kettwig mit industrieller, textiler Vergangenheit.



  • Glauben Sie, dass das Interesse am Textilen und an den textilen Künsten zunimmt? 

Ja, unbedingt und das gilt auch für jüngere Männer. Das erlebt man, wenn man entsprechende Messen besucht und auch bei den Ausstellungen. Zunehmend setzt sich auch die jüngere Generation provokativ, mit der Geringschätzung der „weiblichen Arbeit“ auseinander.



  • Sammeln Sie etwas? Sind Bücher für Sie wichtig? 

Also wenn ich etwas sammele, dann sind es Bücher und besondere Zeitschriften (z.B. Gartenzeitschriften). Dann kommen gleich Knöpfe und Stoffe, weiterhin grüne Gläser, vom Meer geschliffene Glasscherben, Muscheln, Steine, Äste, Kochrezepte, Pflanzen, gute Freunde, gute Gespräche, sonnige Stunden und unerledigte, ungeliebte Tätigkeiten...........könnte ich endlos weiterführen.

  • Wie und wo finden Sie Ihre Inspiration? 

In der Natur, in Büchern, guten Ausstellungen und Musik.

  • Inwieweit werden Sie von Ihrer Umgebung beeinflusst? 
 
Da ich frühzeitig beschlossen habe, nicht von der Kunst leben zu müssen, bestreite ich meinen Lebensunterhalt anderweitig. Dadurch fehlt mir die Zeit, mich öfter an Ausstellungen zu beteiligen.
Das empfinde ich aber nicht unbedingt als Nachteil, weil mir die künstlerische Freiheit wichtiger ist und ich auch viel Wert auf gute Orte lege und die sind halt nicht so häufig. So kann es vorkommen, dass ich dann zwei Jahre z.B. einen Garten anlege.
 
  • Geben Sie Ihr Können in Workshops weiter? 
 
Leider fehlt mir dafür die Zeit, aber ich habe in der Vergangenheit auch als Kunstlehrerin gearbeitet und während der Ausstellungen nehme ich mir immer viel Zeit für einen Künstlerrundgang.
 

weitere Informationen:
  
  
 
 

1 Kommentar:

  1. Liebe Gabi,
    vielen Dank für das informative Interview. Werke von Anne Ulrich habe ich im Tuchmacher-Museum bei eurer "4fach" Ausstellung bewundern dürfen. Sind schon beeindruckende Stücke, die du auf den Fotos zeigst. Welch eine kreative Frau. Und ich finde es schön, dass sie ihre Ausstellungen von Orten abhängig macht, die etwas Besonderes sind. Aber da sie von der Kunst nicht leben muss, ist das auch einfacher. Ein sehr schöner Ausflug in eine andere Welt!
    Liebe Grüße Anette

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