Mittwoch, 19. Juli 2017

Eine Ausnahme! Ein Kommentar!

von:
Gabi Mett

Heute möchte ich gerne einen Kommentar veröffentlichen, der so in der "Kunstzeitung" zu lesen war.
Ausgabe Juli 2017 Seite 11:

Flechtwerk statt Netzwerk

Die Verflüchtigung greifbarer Wirklichkeit im digitalen Bilderrauschen ruft derzeit Handgearbeitetes und Handfeste verstärkt auf den Plan. Das jedenfalls legt die 57. Venedig-Biennale nahe., die das Publikum buchstäblich in ein alles umgarnendes Gewebe der Texturen und Textilien verstrickt. Tapisserien und Makramee-Verschlingungen, überdimensionierte bunte Wollknäule, Gesticktes, Genähtes und weitere ganz konkrete Fäden durchziehen Christine Macels internationale Ausstellung "Viva Arte Viva", zeigen sich aber auch in anderen Präsentationen. Im Arsenale verdichten sich die textilen Materialien parallel zu interaktiven, prozessualen und performativen Works-in-Progress, die den Geist der 1960er und 70er Jahre heraufbeschwören: Rückgriff auf eine Ära, in der subversive Kreativität und die Authentizität des Selbstgefertigten gegen konsumgesteuerte Massenproduktion und Gesellschaftsnormen zum Einsatz kamen.
In "The Mending Project", einer Installation bunter Garnspulen, repariert der thailändische Künstler Lee Mingwei defekte Besucherkleidung, die so in die Arbeit einbezogen wird. Der aus Manila stammende Künstler David Medalla lädt Betrachter ein, zu seiner Mega-Stickerei " stitch in time" beizutragen. Nadel und Faden setzen auch in den Stoffbüchern und-Bildern der sardischen Künstlerin Maria Lai schwungvolle Zeichen. Und die leuchtenden Wandformationen des in Fulda geborenen Verfechters eines handlungsorientierten Skulpturbegriffs, Franz Erhard Walter, der mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet wurde, fordern zum Weiterdenken in textilen Bahnen auf. Teresa Lanceta hat sich in ihren genähten und bemalten Stoffarbeiten von marokkanischer Textilkunst inspirieren lassen. Und Sheila Hicks wiederum bezieht sich in ihrer vielfarbigen Ballung aus natürlichen und synthetischen Faserbäuschen auf textile lateinamerikanische und präkolumbianische Traditionen. Selbst die schwebende Versammlungsstätte des brasilianischen Künstlers Ernesto Neto, die als Herzstück des Arsenale-Parcours im "Pavillon der Schamanen" zu spirituellen Ritualen einlud, lässt an organisches Gewebe denken.
Die Künstler präsentieren jede Menge Flechtwerke statt medialer Netzwerke. Das scheint in Venedig dieses Jahr die Devise zu sein, wobei textile Verwobenheiten auch bei der documenta 14 gehäuft auftreten. Der von unsichtbaren Finanzströmen vorangetriebenen Globalisierung steht die zeiten- und länderübergreifende Vernetzung im substantielleren Medium gegenüber. Im transkulturellen textilen Dialog offenbaren sich die tieferen Verflechtungen: ein World Wide Web, das als stofflich-ästhetische Matrix Verbindungen schafft, wo potentiell alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

Belinda Grace Gardner

4 Kommentare:

  1. Na, so was! Da versucht Frau Gardner sich den Zeichen der Zeit zu widersetzen mit dem üblichen Textil-Bashing. Das "alles umgarnende Gewebe" verweise auf die nationale Vergangenheit (na und?). Richtig wäre stattdessen eine länderübergreifende Vernetzung als Antwort auf die Globalisierung (sic). Sie verkennt aber die immer stärker auftretende Besinnung auf die eigenen Wurzeln, die nationale eigene Kultur. Dies sowohl politisch als auch kulturell.
    Ich jedenfalls gehe in September zur Venedig-Biennale und freue mich jetzt schon auf Sheila Hicks und Ernesto Neto.
    Grietje

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  2. Liebe Grietje,

    ich habe diesen Kommentar ganz anders verstanden, nämlich ein Hinweis darauf, das neben den medialen Netzwerken eine Gegenbewegung entstanden ist, die auf das Material direkt Bezug nimmt und so dem Betrachter neue Anknüpfungspunkte gibt, kurz gesagt.
    Liege ich da so falsch?

    Ich wünsche Dir auf jeden Fall eine interessante Fahrt nach Venedig.
    herzliche Grüße Gabi

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  3. Mich hat gestört, dass Wörter verwendet werden wie "Makramee, "Rückgriff" auf die 60er Jahre, "Flechtwerk". All dies hat bei mir eine negative Reaktion ausgelöst. Makramee und Flechtwerk sind eindeutig Begriffe, die auf Hobby und Handarbeit, aber nicht auf Kunst verweisen.
    Einen lieben Gruss
    Grietje

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  4. Liebe Gabi,
    Ich finde den Text nur oberflächlich positiv. Für mich ist er dort subversiv, wo das rein Beschreibende verlassen wird und die Interpretation beginnt. Es ist klar, dass das Textile nicht unerwähnt bleiben darf, wenn es heute so massiv an allen Kunstmessen vertreten ist. Warum aber wird die textile Kunst sprachlich wieder in eine Ecke gestellt? Warum kann man es nicht einfach nur als Kunst betrachten und den Text auch so gestalten, wie man es bei anderen Kunstrichtungen gewohnt ist? Wieso wird aus Vernetzung «Verflechtung». «Stofflich-ästhetische Matrix», «an einen Strang ziehen», «textile Verwobenheit». «Rückgriff auf eine Ära, in der subversive Kreativität und die Authentizität des Selbstgefertigten…». Mit diesen etymologisch aus der Textilproduktion stammenden Wörter und Redewendungen zementiert die Autorin – bewusst oder unbewusst - das festgefahrene Verhaltensmuster des Publikums.
    Auch bin ich skeptisch über die Behauptung, hier entstünden «Flechtwerke» (=Netzwerke). Ich habe eher den Eindruck, dass in Venedig zuerst einmal ein Dialog zwischen Alt und Neu entstanden ist. Die Namen der Pavillons deuten ja auch darauf hin: «Pavillon der Traditionen» oder «Pavillion der Schamanen». Wie ich schon sagte: Betont wird doch eher eine Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit als auf Verflechtung.

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