von Grietje van der Veen
Vor einem guten Jahr, also schon lange vor meiner Ausstellung an der Nadelwelt, zeichnete sich bei mir eine Schaffenskrise ab. Ich war nicht mehr zufrieden und fand vieles, was ich bis dahin gemacht hatte, flach und nichtssagend. Ich entschied mich also, das Ruder umzuwerfen. Weg vom Bild, hin zum Sinnbild.
Eine Schaffenskrise entsteht selten aus dem Nichts. Sie hat einen Grund. Ich kann das, was mich umtreibt, nicht in einem Naturbild darstellen. Ein Vers von Sir Walter Scott brachte die Initialzündung zu meiner neuen Serie:
„Oh what a tangled web we weave
When first we practice to deceive“
Weben und Wickeln wurden zu meinem zentralen Thema. Das Websel ist die Lüge, das Eingewickelt-Sein das Akzeptieren der Lüge. Das Eine geht nicht ohne das Andere. Wenn es funktioniert, gehören sie zusammen wie Pech und Schwefel.
Die Technik des Umwickelns verwende ich schon seit 2007, war für mich also nicht neu. Die umwickelten Stoffstreifen und Schnüren waren aber bis dahin lediglich Teile meiner Naturbilder.
|
Zwei Lamellibracchi aus der Tiefseeserie, 2007-2008 |
Jetzt sollte sie aber ins Zentrum meines Schaffens gerückt werden. Zwei von den drei grösseren Werken, die ich in dem neuen Stil schuf, wurden in Wanderausstellungen aufgenommen, fanden also Anklang.
|
"Love Letters to P", in der SAQA-Wanderausstellung "Text Messages" |
|
"Wrapped in Lies" in der Wanderausstellung "European Art Quilt" |
Zuerst bedrucke ich den Stoff, der zum Weben bestimmt ist, mit Text. Dann wird er geschnitten oder gerissen und nach dem Weben nochmals mit Buchstaben bedruckt. Die umwickelten Streifen enthalten keinen Text. Sie sind sozusagen stumm in ihrer Gutheissung.
Leider muss ich immer wieder längere Pausen einlegen, denn das Umwickeln der Stoffstreifen setzt meinen Fingern böse zu. Schmerzhafte Entzündungen an meinen ohnehin schon nahezu knorpellosen Gelenken zwingen mich, es ruhiger anzugehen.
Inzwischen habe ich aber auch gemerkt, dass ich von der Natur nicht ganz lassen kann (ein Zeichen der Überwindung der Krise?). Noch immer begeistern mich knorrige Bäume, spiegelnde Wasserflächen und bemooste Felsen. Aber ich brauche einen neuen Ansatz. Blosse Abbildung der Natur befriedigt mich nicht mehr. Lediglich die bis heute erstellten Collagen finde ich nach wie vor gut, wie zum Beispiel "Winterschlaf" unten..
|
"Winterschlaf" |
Vor einigen Monaten erfuhr ich vom Naturschutzprojekt „Das Grüne Band“. Damit ist die ehemalige innerdeutsche Grenze, den sogenannten Todesstreifen, gemeint. Das Grenzgebiet bestand nicht einfach nur aus einer Mauer plus Wachttürmen, sondern bildete ein ingeniös ausgeklügeltes System von mehreren Metallgitterzaunen, Minenstreifen, Kfz-Sperrgraben (aus denen es kein Fluchtauto hochschaffte), aus geharktem Spurensicherungsstreifen und dem sog. Kolonnenweg für Lastwagen. Alles in allem war die „Schutzzone“ ca. 500 m breit. Dahinter lag eine weitere ca. 5 km breite „Sperrzone“. Die Bewohner der Sperrzone mussten sich registrieren lassen und durften Besucher nur mit Wochen vorher zu beantragender Genehmigung empfangen. Weitere Schikanen brauche ich nicht aufzuführen, denn sie sind hier nicht das Thema.
Fast gleichzeitig mit der Wende begannen sich Naturschützer aus beiden Seiten des Grenzgebiets dafür einzusetzen, dass der Streifen ganz der Natur überlassen und nicht bebaut wird. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) rief das Projekt „Das Grüne Band“ ins Leben. Der Streifen, der seit 40 Jahren nicht bewirtschaftet gewesen war, sollte im status quo erhalten bleiben. Der BUND kauft(e) weite Teile des ehemaligen innerdeutschen Grenzgebiets und ermöglicht den sonst bedrohten Pflanzen und Tieren, sich dort ungehindert zu vermehren. Aus der ehemaligen „Todesstreifen“ ist inzwischen eine „Lebenslinie“ geworden. Der BUND initiierte eine siebenteilige Grüne-Band-Buchreihe mit Wandervorschlägen, die ich euphorisch ganz gekauft habe. Für die nächsten sechs Jahre weiss ich also, wohin zum Wandern. Das erste Buch habe ich letzte Woche grösstenteils „erwandert“ und bin begeistert. Die Strecke reicht von der Ostsee bis zum Elbufer bei Lauenburg. Durch unzählige Seen lief damals die innerdeutsche Grenze, östlich davon Mecklenburg, westlich Schleswig-Holstein.
Ich brauchte wenig Überzeugungskraft, meine Tochter dazu zu bewegen, mich zu begleiten. Schon seit langem möchte sie Mecklenburg-Vorpommern sehen. Einzige Bedingung: ihr Hund muss mit. Der feierte dort Geburtstag, Weihnachten und Ostern zusammen. Soviel Wasser zum Schwimmen hatte er noch nie erlebt. Zum Glück ist im Herbst die Brutzeit der Wasservögel vorbei. Sonst hätten wir Probleme mit ihm bekommen.
|
Cliff im Element |
Jetzt werde ich das Gesehene und Erlebte in meine Arbeiten einfliessen lassen. Nicht die Grausamkeiten, die an der Grenze stattgefunden haben, sollen im Mittelpunkt stehen, sondern die Kraft der Natur, die sich ein Stück Erde zurückerobert hat, das heute seinesgleichen sucht. Die Anfänge der Entwicklung zum heutigen Status sollen nicht ausgeblendet werden. Jedoch die positive Wendung vom Negativen zu etwas Gutem und Einmaligem soll im Mittelpunkt der Werke stehen.
Wie ich gedenke, dies anzugehen, werde ich nächste Woche erzählen. Judith hat mich gebeten, sie nächste Woche zu vertreten, weil sie bis über beide Ohren in Arbeit steckt. Fertige Arbeiten werde ich natürlich noch nicht zeigen können. Ich hoffe aber, Sie sind trotzdem wieder dabei.