von Grietje van der Veen
Am zweiten Januar ist die Schweizer Künstlerin Lilly Keller, 89-jährig in ihrem Haus in Thusis unerwartet gestorben. «Am Weihnachtstag habe Lilly Keller auf dem Boden ihres Ateliers sämtliche rund 90 Bücher ausgelegt, (...) nie ausgestellte Unikate in allen denkbaren Grossformaten (…), Sammlungen von Zeichnungen, Malereien, Collagen, Lebensdokumenten, Texten von Dritten, Briefen von und an Lilly Keller.» Zitiert aus dem Nachruf von Fredi Lerch «Wirklich invasiv ist nur der Mensch», WOZ, vom 11. Januar 2018.
Fredi Lerch besuchte Lill Keller von 2011 bis 2014 regelmässig, um «in Gesprächen die Geschichten aufzuarbeiten, die sich um ihre Biographie, ihre Kunstwerke und ihr Anwesen rankten». Keller korrigierte und kritisierte alle Texte, die er für sein Buch schrieb. Erschienen ist es in 2015.
Keller wurde 1947 in die Kunstgewerbeschule Zürich als Studentin aufgenommen. Zur Aufnahmeprüfung für die Vorstufe legte sie einfach einen Koffer voller Arbeiten dem damaligen Schuldirektor, Johannes Itten, vor. Sie wurde in die Kantine geschickt, wo sie warten sollte, bis man sie wieder reinholte. Darauf wurde ihr mitgeteilt, dass sie aufgenommen werde, ohne eine Prüfung ablegen zu müssen. Allerdings musste sie 1951 die Schule wieder verlassen, weil sie sich konsequent weigerte, die allgemeinbildenden Fächer zu besuchen. Diese Kenntnisse brauche sie doch nicht.
Ihr oeuvre ist sehr breit gefasst. Ihre ersten Erfolge erzielte sie mit Tapisserien, Werke von enormen Ausmassen. Das Arbeiten am Webrahmen sah sie als Disziplinierungsmassnahme an. «Ich muss mich an die Kandare nehmen. Die Leichtigkeit beim Malen ist eine Gefahr. Ich kann nicht lange skizzenhaft bleiben.». (Bellasi und Riederer, S. 62) International wurde sie bekannt mit ihrer Tapisserie No. 28, die 1962 an der ersten internationalen «Biennale de la Tapisserie» im Musée Cantonale des Beaux-Arts in Lausanne gezeigt wurde. Eine abstrakte Komposition, 3 x 4 m gross in gelb, rot, schwarz und blau. Diese Tapisserie befindet sich leider nicht auf ihrer Wenbsite
Auch 1966 wurde sie zu der Biennale zugelassen mit ihrer Tapisserie No. 44, 2.45 auf 2.95 Meter.
Tapisserie No. 44; Quelle: www.lillykeller.ch |
Tapisserie No. 53, 3 x 10 m; Quelle: www.lillykeller.ch |
1984 wob sie ihre letzte Tapisserie, montierte den Webstuhl ab und entsorgte ihn. Sie hatte gemerkt, dass das Weben sie in eine Sackgasse führte. «Ich hätte weiter gewoben. Aber ich stiess nur auf Widerstand. Ich war voller Wut». (Bellasi und Riederer, S. 65). Trotz Erfolg galt sie in den Augen der Künstlerkollegen und -kritiker nicht als vollwertige Künstlerin. «Werke mit Textilkunst in Zusammenhang zu bringen, sei immer noch ein probates Mittel, jemanden ins Abseits zu drängen.» (Bellasi und Riederer, S. 65). Zeitlebens hat sie darunter gelitten, dass Künstler allgemein die Künstlerinnen geringschätzten. Diese Haltung hat sie in einem der oben erwähnten Bücher, No. 55, «Die Stellung der Frau als Künstlerin» thematisiert. Seit 1973 beschreibt sie darin tagebuchähnlich ihre persönlichen Kämpfe und Niederlagen. «Dazu übermalt und überklebt sie die 1972/73 mit 52 Original-Zeitungsgrafiken der Basler National-Zeitung publiziert worden sind. 52 Künstler sind darin vertreten, Lilly Keller gehört nicht dazu. Mit Ausnahme von Meret Oppenheim -keine Frau anwesend, empört sie sich.» (Bellasi und Riederer, S. 78).
Fast 20 Jahre später füllt sie sechs Bundesordner mit Collagen, die die Bundesfeierlichkeiten zum 700-jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft verspotten. Die offizielle Schweiz organisierte eine Ausstellung «Extra Muros. Zeitgenössische Schweizer Kunst»: 94% männliche und 6% weibliche Künstler. «Extra Muros» standen demnach nur die Frauen. Einen Ordner füllt Keller mit verrosteten Gegenständen, einen mit Blechdeckeln, einen anderen beklebt sie mit Fellstücken – die an die Felltornister der Armeeangehörigen im Zweiten Weltkrieg erinnern.
Lilly Keller war unangepasst, konsequent in ihrer Meinung, ging ihren eigenen Weg, wusste, was sie wollte. Ein freier Geist.
Wenn man denkt, heute sei die Stellung der Frau in der Kunst weniger gravierend, als zu Kellers Zeiten, dann bin ich da skeptisch. Vor Kurzem behauptete Georg Baselitz allen Ernstes und unwidersprochen in der Nachrichtenzeitschrift «Der Spiegel», Frauen könnten nicht malen. Oder wie steht es mit der Weigerung des Schweizer Parlaments, auch die angemessene Vertretung der Frauen im Bundesrat festzulegen? Sprachregionen angemessen vertreten ja, aber Frauen nein! Zwar kein Künstlerinnenproblem, aber für alle Frauen bezeichnend.
Es gäbe noch sehr viel mehr über Keller zu erzählen: die verschiedenen Kunstausprägungen, ihre zahlreichen Freund- und Liebschaften, ihre Reisen, ihre Ehe mit Toni Grieb, die über 40 Jahre währte, Haus und Garten. Aber ich lasse andere darüber berichten.
Schauen Sie Lily Kellers Website an: www.lillykeller.ch Da gibt es viele Bilder ihrer Werke zu sehen.
Oder sehen Sie das Interview des Fernsehens SRF «Sternstunde Kunst» mit dem Titel: «Lilly Keller: Cultiver son jardin» Nur noch 4 Tage online zu sehen: www.srf.ch › Kultur › Kunst
Oder diesen Nachruf von Fredi Lerch:
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/2965/Zum-Tod-einer--Unterschätzten.htm
Unter dem Stichwort Lilly Keller gibt es jetzt viele Nachrufe in der Presse zu entdecken.
Lesenswert sind auch die folgenden Bücher:
Andreas Bellasi und Ursula Riederer: Lilly Keller. Das Leben. Das Werk. 2010, Benteli Verlag, ISBN 978-3-7165-1599-0
Fredi Lerch: Lilly Keller Künstlerin – Literarisches Porträt. 2015, Vexer Verlag, ISBN 978-3-909090-67-9
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