Faszination Seide, ein Projekt des Freilichtmuseums
Ballenberg
Von Ursula Suter
Zufälligerweise war ich im letzten Jahr, in der Zeit
vor Weihnachten im Kurszentrum Ballenberg. Der Weihnachtsmarkt in Brienz war
ein willkommener Abendausflug. Neben all den Sachen die es so an einem Markt zu
kaufen gibt gab es zwei Dinge die mich tief beeindruckten. Das Eine war die
Gruppe der Treichler die gemessenen Schrittes mit ihren Kuhglocken durch den
Markt liefen. Die urigen Klängen und Vibrationen der grossen Glocken drangen
bis ins Innerste.
Das Andere war der Verkaufsstand vom Museum Ballenberg.
Dort gab es neben Anderem gefärbte Seidengarne und handgewobene Seidenschals.
Handgewobene Seidenschals bereit für den Markt |
Über ihre Arbeiten kam ich mit den „Marktfrauen“ ins
Gespräch und erfuhr von der Seidenraupenzucht die das Museum seit 2005 alle ein
bis zwei Jahre in ihrem Ausstellungsprogramm hat. Die selber produzierte Seide
wird jeweils in einem einzigen weissen Schal verarbeitet. Ich hatte das Glück,
dass der diesjährige Schal im Hintergrund des Standes lagerte. Als er ganz
sorgfältig aus seiner Seidenpapierhülle heraus gewickelt wurde war ich hin und weg. Es schien mir, als
hätte ich nie ein edleres Stück Stoff gesehen. In meinen Augen hatte es die
Aura eines heiligen Tuches.
Das alles mag im Nachhinein etwas übertrieben klingen,
auf jeden Fall hat mich damals die Magie des Augenblicks dazu bewogen über die
Seidenraupenzucht im Museum Ballenberg zu schreiben.
Der Gutshof von Novazzano ist der grösste
Gebäudekomplex im Museum, er steht in der Geländekammer Tessin. Ursprünglich
stand das Gebäude in der Nähe von Chiasso. Die ältesten Gebäudeteile stammen
aus dem 13.Jhd. Über die Jahrhunderte wurde es erweitert und den Bedürfnissen
der Zeit angepasst. Im 17.Jhdformierten sich die Gebäude zur im Mendrisiotto
typischen U-Form, im 18. Jhd. Führten die Erweiterungen zum geschlossenen Hof.
Der jüngste Trakt des Hofes wurde im 19 Jhd. Für die Seidenraupenzucht
errichtet.
In der Folgezeit wurde Futtermais und Tabak angebaut und später auf Milchwirtschaft umgestell. Ab 1980 verlotterte der Hof langsam bis er dann in den Jahren 2002 – 2004 auf dem
Museumsgelände wieder aufgebaut wurde.
Beim Stichwort „Seide“ habe ich bis jetzt immer an die Ursprungsregion China gedacht. Dort soll 2600 Jahre bCh. Lei Zu die Gattin
des damaligen Kaisers Seidenraupen in einem Maulbeerbaum gefunden, ihre
Entwicklung verfolgt und so die Seidenfaser entdeckt haben. Wie dem auch sei, auf jeden Fall wurde über Jahrhunderte das Geheimnis um die Herstellung der edlen Faser in China streng gehütet.
Erst 600Jahre nCh. brachten Reisende die ersten Seidenraupeneier in den
Mittelmeerraum.
Das Vorkommen des Maulbeerbaums bezeugt, dass schon
Ende des 14. Jhd. im jetzigen Kanton Tessin und in den südlichen Tälern
Graubündens Seidenraupen gezüchtet wurden. Mitte des 19.Jhd. erreichte die
Seidenraupenzucht im Tessin ihren Höhepunkt und wurde zum wichtigsten
Industriezweig des Kantons. Die Raupeneier wurden durch das Schweizer Konsulat
in Japan beschafft und über die Gemeindeverwaltungen an die Käufer in den
Dörfern verteilt.
Der Zerfall dieses Industrie- und Handelszweiges
setzte in den ersten Jahrzenten des 20.Jahrhunderts ein.
Die Gründe dazu waren die starke Konkurrenz von
chinesischer und japanischer Seide, die Entwicklung der ersten chemischen
Fasern und Missernten durch Raupenkrankheiten.
Raupenzucht im Museum
Hurden für die Raupenzucht im Gutshof |
Die Geschichte der Seidenraupenzucht und die des
Gutshofs von Novazzana sind eng miteinander verbunden.
Als die Idee einer Schauzucht im Museum entstand,
mussten Angestellte aus dem Arbeitsteams zuerst auf die Suche nach einer
„Gebrauchsanweisungen“ für die Raupenzucht gehen und sich das nötige Wissen erarbeiten.
Eine Knacknuss war die Beschaffung der täglich
frischen Maulbeerblätter. Die neu gepflanzten Maulbeerbäume waren noch nicht
„erntereif“. Ein Bauer aus dem Tessin wurde gefunden der täglich frische
Blätter per Post lieferte.
Die Raupen fressen nur frische Blätter und müssen
täglich bis zu 5x gefüttert und gepflegt werden. Ihre Unterlage muss immer
sauber sein. Sie sind sehr empfindlich auf Lärm und Zugluft.
Die Raupen sind 30 – 35 Tage alt und 9 – 10 cm lang |
Sie fressen nicht mehr und suchen sich einen ruhigen Platz im dürren Reisig. |
Die Raupe beginnt den Spinnvorgang indem sie
verschiedene Haltepunkte an die Reiser setzt und mit etwas Fadengewirr, der
Flockseide, ein stützendes Netzwerk bildet. Erst dann beginnt der Bau des
Kokons. Während 3 Tagen legt sie in Achterwindungen eine Hülle um ihren Körper
und bildet dabei einen Faden der bis zu 3000m lang sein kann.
Ausgeschlüpfte Maulbeerspinner |
Nach etwa 3 Wochen ist die Metamorphose der Raupe zum
Maulbeerspinner abgeschlossen. Die ausgeschlüpften Falter können weder fressen noch fliegen.
Nach der Paarung legen sie 300-500 Eier ab und sterben dann. Der Kreislauf
beginnt von vorne.
Für die Gewinnung der Seide lässt man den Falter nicht
ausschlüpfen. Das Loch würde den Faden zerstören.
In Novazzano wurde früher nie
abgehaspelt oder gewoben, es wurden lediglich Kokons produziert, die man an
eine Zwirnerei verkaufte. Im Jahr 1896 erhielt ein Bauer 6 Fr. pro Kilo Kokons. 1923 nur noch 1.5 Fr.
Im Museum wird der ganze Ablauf gezeigt, das
Abhaspeln, Zwirnen, Färben und Weben, um den ganzen Prozess vom Ei zum Kokon
und bis zum fertigen textilen Produkt vermitteln zu können.
Zwirnen |
Angekaufte Schappe-Seide wird mit natürlichen Farbstoffen gefärbt. |
Weben eines Schals |
Sticken |
Für Interessierte die den Prozess von der Raupe
zum textilen Produkt selber sehen möchten ist unten das Programm zum Projekt angefügt.
In diesem Jahr werden in
zwei Etappen rund 1‘500 Raupen aufgezogen. Ab dem 27. Juni kann man die Seidenraupenzucht
täglich um 11 und 13 Uhr bei einem Rundgang besuchen. Von 10 bis 16.30 Uhr
zeigen Handwerkerinnen am Di das Zwirnen, am Mi und Do das Weben und am Sonntag
von 14 bis 16 Uhr wird Seidenfaden vom Kokon abgehaspelt.
Am 4. und 5. Juli wird
(angekaufte) Schappe-Seide gefärbt.
Von Freitag bis Sonntag,
22.-24. Juli findet die Veranstaltung „Faszination Seide“ statt, bei der an
allen drei Tagen mehrere Handwerkerinnen das Zwirnen, Sticken oder Filochieren,
Weben und Färben zeigen, zudem werden nachmittags von 14 bis 16 Uhr Kokons
abgehaspelt.
Weitere Informationen
erhalten Sie über www.ballenberg.ch
Bilder und Textnachweis
Unterlagen und Bilder zu diesem Blog wurden mir vom
Freilichtmuseum Ballenberg zur Verfügung gestellt.
Einiges entnahm ich auch der Zeitschrift Handwerk 1/09
zum Thema Seide.
Liebe Ursula,
AntwortenLöschenherzlichen Dank für diesen informativen Bericht. Seide ist schon ein außergewöhnliches Material, mit dem man so viele tolle Dinge anstellen kann. Wie gut, dass die Frau des Kaisers genau hingesehen hat, wie das funktioniert. Uns wäre sicher etwas entgangen, wenn wir diese wunderbare Faser nicht kennengelernt hätten.
Herziche Grüße
Anette