Freitag, 26. Juni 2015

Textielbiennale in Museum Rijswijk, Niederlande


Von Grietje van der Veen

Wie Gabi Mett schon erzählte, besuchten wir vor einigen Wochen gemeinsam die ETN (European Textile Network)-Konferenz in Leiden (NL). U.a. nahmen wir an einem Ausflug zum Museum Rijswijk teil, wo zurzeit die internationeleTextielbiennale 2015 gezeigt wird. Das Museum befindet sich in einem historischen Gebäude. dem der zu seiner Zeit berühmte, aber heute in Vergessenheit geratene Dichter Hendrik Tollens wohnte, weshalb das Gebäude heute noch „Tollenhaus“ genannt wird. Über sein Arbeitszimmer später mehr.

Das alte Gebäude wurde 1994 zuerst um einen modernen Eingang aus Glas erweitert und 2011 um mehrere Säle für kurzfristige Ausstellungen. 2000 startete das Museum eine Papierbiennale, die von 2009 an alternierend mit einer Textilbiennale abgehalten wird. Seitdem ist das Museum in dieser Hinsicht international tonangebend. Hier finden Sie den Link zum Museum.

In der Ausstellung sucht man vergebens nach Quilts, wie sie in Quiltwettbewerben definiert und gefordert werden, einschliesslich die Heidelberger Triennale. Hier gibt es keine Vorgaben und die Technik spielt eine untergeordnete Rolle, sondern es gilt Wagnis und Experiment mit dem Medium Textil.

In seinem Vorwort zum Katalog stellt der Kulturkritiker Chris Reinewald in der Ausstellung ein gemeinsames Kriterium der ausgestellten Werke fest: Das Erzählen von Geschichten. „Geschichten „verweben sich“, „entwirren sich“, wir lassen „Maschen fallen“, „nehmen den Draht wieder auf“, verweben etwas zu einem „festen Muster“ mit einem „roten Faden“. Die Sprache reflektiert viele Aspekte der textilen Arbeitsprozesse.

Untenstehend stelle ich einige der ausstellenden Künstler_innen vor. Ich folge dabei teilweise den Ausführungen vom Kunsthistoriker Frank van der Ploeg im zweisprachigen Katalog (niederländisch und englisch). Direkte Zitate erscheinen in Anführungszeichen. Ein Teil der Bilder sind von mir. Einige habe ich aus dem Katalog. Diese sind jeweils mit einem Sternchen markiert. Am Ende jeder Vorstellung finden Sie die Website-Adresse der Künstlerin oder des Künstlers, alle lohnend anzuschauen.

Stilled - Installation von Caroline Bartlerr *
Caroline Bartletts Installation „Stilled“ wurde für einem Alkoven in einer stillgelegten Textilfabrik im englischen Saltaire konzipiert. Mit der Schliessung der Fabrik wurden die alten Strukturen aufgelöst, aber neue Gemeinschaften, neue soziale Netzwerke entstanden. Diese Geschichte spiegelt sich in der Installation, bestehend aus wollenen Tüchern, in deren Mitte jeweils ein Stickring prangt. Im Zentrum eines jeden Stickrings befindet sich eine kreisrunde Porzellanscheibe (ein Hinweis auf die Keramikindustrie in der viktorianischen Blütezeit), in der vor dem Brennen Muster mit Stoff eingedruckt wurden. Diese Muster finden eine Fortsetzung in den Stickereien auf den Tüchern. Die Tücher sind mit sich kreuzenden Schnüren (das Netzwerk) aufgehängt. Ganz besonders ansprechend: Die (Nicht) Farben in der Installation bewegen sich von wollweiss zu dunkelgrau.

Detail mit Porzellanscheibe *
Hier geht es zur Website von Caroline Bartlett

Monica Bohlmann aus Deutschland ist in der Ausstellung mit dreidimensionalen Büsten vertreten – ihre „Fadenfrauen“. Über Draht skulptiert sie stickend und überstickend weibliche Gesichter. Die Lippen und Augen entstehen aus Fotomaterial. Die Kleidung und Kopfbedeckung sind ganz unterschiedlich. Jede Frau hat ihr eigene geheimnisvolle Geschichte.

Monica Bohlmann, Anna








Hier geht es zur Website von Monica Bohlmann

Die Botschaft von Ying Chew: Momento Mori. Ihre beeindruckende (noch) kleine Serie von gestickten Portraits basiert auf Fotos aus den Anfängen der Fotografie von längst vergessenen Frauen. Die Serie „Unindentified Women“ übersetzt die Fotos in Petit-Point-Stickereien auf altes von Kaffeeflecken verschmutztes Leinen. Die Stickerei gibt dem Bild das spezifische verwischte Aussehen einer alten Daguerreotype Fotografie.

Ying Chew, Unidentified Woman I
Hier geht es zur Website von Ying Chew

Die Finnin Raija Jokinen kreiert transparente menschliche Figuren, indem sie Flachsfasern mithilfe von wasserlöslicher Folie lose zusammennäht. In der Ausarbeitung der Figuren konzentriert sich die Künstlerin auf einige wenige Organe, Gliedmassen oder Strukturen wie Herzkreislauf, Haut, Arme. Die Formen wirken sehr fragil und verletzbar.

Raija Jokinen, Creating Skin, 88 x 56 cm
Hier  geht es zur Website von Raija Jokinen

Der aus den USA stammenden Katie Lewis genügen wenige Materialien, aus denen faszinierende abstrakte Gebilde entstehen: Stecknadeln mit weissen Köpfen, Garn und Bleistift. Um die in die Wand gesteckten Nadeln wickelt sie das Garn nach einem für den Betrachter undurchschaubaren Plan. Die Fäden klumpen an manchen Stellen geradezu zusammen, an anderen erscheinen sie leicht und filigran. Dahinter steckt gemäss Lewis der menschliche Körper. „Oder besser gesagt, die scheinbare Objektivität ‚wissenschaftlicher‘ Übersetzungen dieses Körpers in abstrakte Muster“. Wer Katie Lewis bei ihrer Arbeit zuschauen möchte, findet auf der Website des Museums einen kurzen  Video film.

Katie Lewis 201/1206 Days, 2012 190 x 137 x 3,5 cm

Detail
 Hier geht es zur Website von Katie Lewis

Ruben Marroquin, ein Amerikaner mit Wurzeln in Guatemala und Venezuela, ist ein Verpackungskünstler. Marroquin begann seine Laufbahn mit Weben, Sticken und Malen. Erst 2013 entstand das erste seiner Wickel- und Knüpfgebilde. Nach der Herstellung einer unterliegenden Konstruktion aus Bambus und Draht wickelt und knüpft der Künstler völlig spontan und improvisierend seine Fäden, trotzdem nie ganz ohne Plan.





Ruben Marroquin, Titel unbekannt
 Hier geht es zur Website von Ruben Marroquin

Als der Vater des Amerikaners Derick Melander starb, bat dieser seine Mutter, ihm die Kleider des geliebten Vaters zu überlassen. Er formte aus dessen Kleidern und denen anderer Verwandten eine Skulptur als Hommage an seinen Vater, dessen Energie und Einfluss so intensiv auf seine Familie ausgestrahlt hatte.

Melander hat viele Skulpturen – Säulen, Mauern, Tippis - aus getragener Kleidung gemacht. Getragene Kleider tragen die Spuren des Besitzers: Flecken, Risse, abgewetzte Stellen, die eigentlich allgemein sind. Deshalb spricht Melander von einem „Kollektivporträt“. Um ein solches handelt es sich bei der spannenden Skulptur in Rijswijk, die er im Arbeitszimmer des Dichters Tollen errichtete. Das Museum startete einen Aufruf im Internet, an zwei festgesetzten Tagen getragene, aber saubere Kleidung bei Museum vorbeizubringen. Als Belohnung erhielten die Spender_innen eine Reduktion auf dem Eintrittspreis. Ca. 1000 kg getragene Kleidung und Wäsche wurden gestiftet. Nachdem sie sorgfältig gefaltet wurden, stapelte der Künstler sie zu einem Kubus, wobei er die Möbel und Bücher Tollens einarbeitete, die teilweise aus der Installation herausragen. Ein temporäres Kunstwerk, das nach der Ausstellung wieder abgebrochen wird. Die Textilien gehen dann den caritativen Sammler Sympany.

Wer sehen möchte, wie der Künstler an dieser Installation arbeitete, kann dies tun auf der Website des Museums, wo ein kurzer Videofilm, teilweise in Zeitraffer, gezeigt wird.
Deerick Melander, gestapelte Textilien *

Skizze für die Skupltur in Rijswijk *
Hier  geht es zur Website von Derieck Melander

Die Werke der Niederländerin Henrique van Putten haben mich sehr berührt. Ihrer Ansicht nach ist der Mensch „ein beschränktes Wesen und wird vor allem definiert durch seine Unvollkommenheiten“. In ihren Skulpturen zeigt sie die verschiedenen Formen der menschlichen Mängel: „Angst vor einander, vor der Unmöglichkeit zusammen zu sein, vor Einsamkeit und Tod“. Interessant ist die Spannung zwischen den weichen kuscheligen Tieren und den entmutigenden Aussagen der teilweise ausgemergelten Kreaturen, die sich in unausweichlichen Situationen zu befinden scheinen. „Sie (van Putten) wählt bewusst sanfte Wesen hergestellt aus weichem Material, um dem denkenden Menschen einen harten Spiegel vor zu halten“ (Frank van der Ploeg).

Henrique van Putten, houtlander , 250 x 250 x 230 cm

 
Kari Haug, 4. Klasse, 107 x 500 cm *
Die Norwegerin Kari Steihaug erzählt die Geschichte einer Schulklasse in einer Installation, basierend auf ein Klassenfoto aus dem Jahre 1967. Auf diesem Foto tragen alle Kinder handgestrickte Pullover, wie es damals in Norwegen üblich war. Steihaus strickte das Foto nach aus aufgetrennten handgestrickten Pullover. Die aufgetrennten Garne verbinden die Vergangenheit mit dem Heute. Die Pullover hängen an Schulgarderobenhaken. „Kari Steihaug schafft Installationen, die die Vergangenheit echoen. Sie verführen zu Reflektionen über individuelles und kollektives Gedächtnis.“ (Frank van der Ploeg)

 Hier geht es zur Website von Kari Steihaug
Detail *
Caitlin McCormack, Spirit Ditch, 52 x 52 x 5 cm *
Die Amerikanerin Caitlin McCormack häkelt filigrane Vogel- und Reptilienskelette und gibt ihnen Halt mit Leim. Dabei erhebt sie keinen Anspruch auf eine korrekte Darstellung, sondern formt nach Gedächtnis oder Imagination. Die Figuren erscheinen auf schwarzem Samt. Eine faszinierende Sammlung, die neugierig macht, wie die Tiere vor der Skelettierung ausgesehen haben mögen.

Hier geht es zur Website von Caitlin McCormack


Möchten Sie mehr – und andere - Bilder sehen, dann besuchen Sie den ETB-Blog

* Bilder dem Katalog entnommen

Mittwoch, 24. Juni 2015

Wordless Wednesday

von Grietje van der Veen


Montag, 22. Juni 2015

In eigener Sache

von Grietje van der Veen

Kürzlich erhielt ich zwei wichtige Mitteilungen, die ich nun ausposaune, weil sie mich riesig freuen:

Erstens: das Werk, das ich in Birmingham für die "Fine Art Quilt Masters" eingereicht habe, ist angenommen worden. Nun fliege ich in August doch noch zum "Festival of Quilts", obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, dieses Jahr zuhause zu bleiben.

Zweitens erhielt ich letzte Woche diese Einladung:

"Dear Mrs. Grietje Van der Veen,
The Programming Board of the 15th International Triennial of Tapestry, Łódź 2016 have to honor to request you to take part in our undertaking as the artist-participant from Switzerland."
Es handelt sich nicht um einen Wetbewerb. Nur eingeladene Künstler nehmen teil.
Die Ausstellung findet vom 9. Mai bis 30. Oktober 2016 im Central Museum of Textiles in Lodz statt.
Freut euch mit mir.

Freitag, 19. Juni 2015

Interview mit Anne Ulrich

 von :

Gabi Mett


Ich möchte Ihnen heute eine deutsche Künstlerin vorstellen, die ich schon seit einigen Jahren kenne und mit der ich auch schon zusammen ausgestellt habe. Sie ist einen interessanten künstlerischen Weg gegangen, hat schon sehr früh, bereits mit 16 Jahren, Kontakt zur Kunstszene gehabt und hat im Laufe der Jahre auch die textile Kunst für sich entdeckt. Sie vertritt nachdenkenswerte Ansichten, was die Kunst im Allgemeinen und die Textilkunst im besonderen angeht. Aber lesen Sie selbst:


 
 
  • Wie war Ihre Ausbildung ?
Studiert habe ich an der damals neu gegründeten Fachhochschule in Dortmund, Design und freie Malerei und war u.a. Schülerin von Pitt Moog, Pan Walter, Hartmut Böhm und Gustav Deppe.





  • Wie war der Werdegang als Künstlerin? Können Sie etwas über Ihren Hintergrund erzählen?

Eine grundsätzliche Prägung habe ich sicherlich durch meine Mutter erfahren, die als gelernte Schneiderin ihre Arbeiten zuhause anfertigte und mir alle Freiheiten ließ, mich mit den mystischen Tiefen ihres Nähkorbes auseinander zu setzen. Und was ist schon faszinierender für ein Kind, als wenn aus einem Stück Stoff, mit Hilfe eines Schnittmusters, einer Anprobe, ein Kleidungsstück mit „ Wiener Naht“ entsteht. Aus der Fläche ein Objekt! Nach wie vor bin ich tief berührt, wenn ich eine alte Knopfkiste finde oder einen alten Nähkorb entdecke, der eigenartigerweise auch von Frauen gehütet und weitergegeben wurde, die gar keinen textilen Bezug haben. Ich glaube das Letzte, was Frauen vernichten können, sind die Handarbeiten, Knopfkisten und Nähkörbe ihrer Großmütter. Oftmals findet man in diesen Knopfkisten auch gut gehütete Geheimnisse und Familiengeschichte. Offenbar hat sich im kollektiven, weiblichen Unterbewusstsein ein tiefe Achtung für den künstlerischen Stellenwert der textilen Handarbeit erhalten. Gerechterweise muss ich erwähnen, dass es auch einigen Männern so geht.



  • Sind Sie durch einen Lehrer inspiriert worden? Welche Stationen waren für Sie von besonderer Bedeutung für Ihre künstlerische Arbeit? (eigene Ausstellungen, Begegnungen, Erlebnisse...) 
 
Ja, durch meinen damaligen Kunstlehrer (Hawoli). Als bildender Künstler lud er mich zu seinen und anderen Ausstellungen ein und ich bekam schon früh Kontakt zur konkreten Kunst und ihren Künstlern wie Schoonhoven, Luther, Morellet, Reusch und habe ihre ersten Ausstellungen in der neu gegründeten „Galerie M“ in Bochum gesehen. Allerdings habe ich auch tiefe Einblicke in den Kunstbetrieb bekommen und das hatte eher abschreckende Wirkung. Anfang der 70er waren dann Happenings und Fluxus angesagt und ich musizierte z.B. als Gastspielerin im Jupp van de Flupp Orchester und habe die Waschtrommel gespielt. Ich habe dann viele Stilrichtungen ausprobiert, bin aber immer wieder zur Reduktion zurück gekehrt.



 
  • Haben Sie sich für andere Kunstrichtungen interessiert, bevor Sie sich für das Textile entschieden haben? Wie ist das aktuell? 

Na klar und immer noch! Für mich bietet aber das textile Arbeiten andere künstlerische Umsetzungsmöglichkeiten und mehr Freiräume als andere Techniken und da ich mich als konkrete oder minimalistische Künstlerin verstehe, entstehen meine textilen Objekte aus meiner Malerei und meinen Zeichnungen. Zweidimensional und konkret angelegt, entwickeln sie als Objekt oder Installation ihr Eigenleben und die Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit wird
fließend.




  • Mit welchem Material arbeiten Sie heute am liebsten?
 
Eigentlich arbeite ich am liebsten mit textilen Materialien, weil die tatsächlichen Ergebnisse und Raumwirkungen einfach überraschender und ungewohnter sind.
 
 


 

  • Mit welcher Technik arbeiten heute Sie am liebsten? 

Die Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Technik für mich eigentlich nur Mittel zur Zielerreichung ist und zwangsläufig unterschiedlich ist.



 
  • Welche Ziele verfolgen Sie inhaltlich? 

Mich treibt, auch rückblickend betrachtet, die Neugier, das Machen und neue, unerwartete Dinge in den Raum setzen. Aber auch als Künstlerin eigenständige, weibliche Positionen zu entwickeln und unabhängig von Marktmechanismen arbeiten zu können. Meine Arbeit sehe ich als fortwährende, prozesshafte Installation. Inhalt und Form verbleiben nur für einen temporären Zeitraum. Der fortlaufende Entstehungsprozess eines Werkes unter Einwirkung von Zeit, Raum, Gegebenheiten, wie Berührung, und Transport, ist wichtiger als die dauerhafte Sicherung. Eine Installation die sich teilweise auch aus sich selber verändert, durch neue örtliche Gegebenheiten und Begegnungen beeinflusst wird und beeinflusst, vergleichbar dem menschlichem Lebensprozess.




  • Sehen Sie sich durch die Wahl von Material und Technik in der Präsentation in der Öffentlichkeit eingeschränkt? 

Ich sehe mich eigentlich weniger durch die Wahl von Material und Technik eingeschränkt, sondern mehr durch die Tatsache, das Künstlerinnen generell in der Präsentation in der Öffentlichkeit benachteiligt werden und wurden. So liegt der Anteil an ausgestellten Künstlerinnen in großen Häuser und Galerien in Deutschland ungefähr bei 10-15%, wobei hierbei der Anteil von Künstlerinnen, die ab den späten 80er Jahren tätig sind, eindeutig überwiegt. Das heißt die eigenständigen, künstlerischen Positionen von Frauen ab 1900 (bis auf ein paar Vorzeigekünstlerinnen und dann meistens noch aus dem Dunstkreis von bekannten Männern) sind so gut wie gar nicht bekannt. Unverständlich ist es weiterhin, dass es für die Präsentation von Künstlerinnen extra Frauenmuseen geben muss. Der Herrensalon (Museum) wird zwar durch die Steuerzahlerinnen unterhalten, ist aber weiterhin für die Damen schwer zugänglich. Wie soll sich da ein überwiegend weiblich besetztes Material (s. auch Stichwort weibliche Arbeit / Krünitz -Oekonomisch-technologische Encyklopädie-) wie Stoff da durchsetzen, zumal wenn es gemessen an Stahlskulpturen so vergänglich ist und die allgemeine Kunsttheorie männlich geprägt ist. Kurzum, gibt es eigentlich eine Doktorarbeit über den gesellschaftlichen Stellenwert der weiblichen Aussteuer ?



  • Sehen Sie sich dadurch weniger als Künstler akzeptiert? 

Mit Sicherheit werden Künstler/innen, die dann auch noch textil arbeiten, weniger akzeptiert. Aber darin sehe sich ich gerade die große Herausforderung, der Handarbeit ihren künstlerischen Stellenwert zukommen zu lassen. Alles andere wäre auch Verrat an allen unbekannten weiblichen Vorfahren, die keine andere Möglichkeit hatten, sich künstlerisch auszudrücken . Wenn ihre Arbeiten überlebt haben, wird allenfalls noch das Kloster genannt, indem ihre Arbeit angefertigt wurde. Aber da selbst deutsche Frauenmuseen heute noch Probleme haben, textile Arbeiten auszustellen, kann man eigentlich schon von Benachteiligung sprechen. Man spricht selbstverständlicher von Gartenkunst, Kochkunst, Schnitzkunst, Schriftkunst (erst recht, wenn Männer beteiligt sind), als von Textilkunst. Warum eigentlich ?



  • Welche aktuellen Projekte stehen an? 

Im Moment stehen keine Projekte an. Eigentlich lasse ich die Projekte eher auf mich zukommen, lasse mich überraschen und das klappt eigentlich recht gut.



  • Die heutige Kunstszene steht immer mehr im Zeichen der Projekte. Haben Sie schon Projekte mit anderen Künstlern durchgeführt? 

Ja, mehrfach und gerne, ein Beispiel sind mehrere Ausstellungen mit der Gruppe 4fach. Wenn man in einer Gruppe eine Ausstellung vorbereitet, kommen viele Inhalte und Aspekte hinzu, die für den einzelnen Künstler und auch für den Besucher inspirierend sind, wobei für mich auch immer interessante Räume wichtig sind, wie die Scheidtschen Hallen in Essen-Kettwig mit industrieller, textiler Vergangenheit.



  • Glauben Sie, dass das Interesse am Textilen und an den textilen Künsten zunimmt? 

Ja, unbedingt und das gilt auch für jüngere Männer. Das erlebt man, wenn man entsprechende Messen besucht und auch bei den Ausstellungen. Zunehmend setzt sich auch die jüngere Generation provokativ, mit der Geringschätzung der „weiblichen Arbeit“ auseinander.



  • Sammeln Sie etwas? Sind Bücher für Sie wichtig? 

Also wenn ich etwas sammele, dann sind es Bücher und besondere Zeitschriften (z.B. Gartenzeitschriften). Dann kommen gleich Knöpfe und Stoffe, weiterhin grüne Gläser, vom Meer geschliffene Glasscherben, Muscheln, Steine, Äste, Kochrezepte, Pflanzen, gute Freunde, gute Gespräche, sonnige Stunden und unerledigte, ungeliebte Tätigkeiten...........könnte ich endlos weiterführen.

  • Wie und wo finden Sie Ihre Inspiration? 

In der Natur, in Büchern, guten Ausstellungen und Musik.

  • Inwieweit werden Sie von Ihrer Umgebung beeinflusst? 
 
Da ich frühzeitig beschlossen habe, nicht von der Kunst leben zu müssen, bestreite ich meinen Lebensunterhalt anderweitig. Dadurch fehlt mir die Zeit, mich öfter an Ausstellungen zu beteiligen.
Das empfinde ich aber nicht unbedingt als Nachteil, weil mir die künstlerische Freiheit wichtiger ist und ich auch viel Wert auf gute Orte lege und die sind halt nicht so häufig. So kann es vorkommen, dass ich dann zwei Jahre z.B. einen Garten anlege.
 
  • Geben Sie Ihr Können in Workshops weiter? 
 
Leider fehlt mir dafür die Zeit, aber ich habe in der Vergangenheit auch als Kunstlehrerin gearbeitet und während der Ausstellungen nehme ich mir immer viel Zeit für einen Künstlerrundgang.
 

weitere Informationen:
  
  
 
 

Mittwoch, 17. Juni 2015

Montag, 15. Juni 2015

In eigener Sache

von Judith Mundwiler

Am letzten Samstag fand die Vernissage vom Projekt "flatterhaft" in der Sissacher Begegnungszone bei wunderbarem Sommerwetter statt.
Ich habe in meinem Blogbeitrag vom 15. Mai schon darüber berichtet.
Die Fahnen flattern bunt und leicht über der Strasse in Sissach. Vielleicht fahren Sie einmal durch, oder noch besser: gehen Sie zu Fuss, um einen besseren Eindruck zu bekommen.
Die Organisatoren konnten Dank Sponsoren einen tollen Katalog mit 32 Seiten, A4 , drucken lassen.
Wenn Sie Interesse haben an einem Katalog, können sie den GRATIS bei mir beziehen.
Schicken Sie mir ein genügend frankierter Umschlag (SFR.2.-- für A-Post / 1.80 für B-Post ), Format A4 oder B4, mit Ihrer Adresse drauf...und ich schicke Ihnen das gefüllte Couvert zurück!
Adresse: Judith Mundwiler, Atelier für Textiles Gestalten, Allmendweg 30, 4450 Sissach.


Titelseite vom Katalog


Ausschnitt aus dem Katalog
 Hier ein paar Eindrücke von der Vernissage:











Freitag, 12. Juni 2015

Madame Tricot

von Judith Mundwiler

Letzte Woche sass ich bei meiner Coiffeuse und blätterte mich durch die verschiedenen Illustrierten, die da immer aufliegen. Eine Tätigkeit, für die ich mir im Alltag sonst kaum Zeit nehme. Ab und zu entdecke ich da sogar durchaus Spannendes und Wissenswertes!
So bin ich auf einen Bericht über  "Madame Tricot" gestossen. Vor längerer Zeit habe ich sie zufällig in einer Talksendung im Schweizer Fernsehen schon gesehen und musste so schmunzeln über ihre gestrickten Esswaren. Diese sind einerseits sehr naturgetreu aber auch mit viel Witz und Ironie gestaltet.
Madame Tricot, mit richtigem Namen Dominique Kähler Schweizer, hat im Mai dieses Jahr den Förderpreis der Kulturstiftung von St. Gallen erhalten. Ich habe gelesen, dass sie die erste Kunsthandwerkerin sei, welche diesen Preis verliehen bekam.
Hier könnten wir nun diskutieren, wo Kunsthandwerk beginnt, und wo Kunst anfängt.

In Wikipedia können wir nachlesen:

Kunsthandwerk steht für jedes Handwerk, für dessen Ausübung künstlerische Fähigkeiten maßgebend und erforderlich sind. Die Produkte des Kunsthandwerks sind in eigenständiger handwerklicher Arbeit und nach eigenen Entwürfen gefertigte Unikate (Autorenprodukte).
Das Kunsthandwerk wird, wie das verwandte Kunstgewerbe, der angewandten Kunst zugeordnet. Es ist jedoch mit dem Kunstgewerbe, das Gebrauchsgegenstände auch in Serie, maschinell und nach fremden Entwürfen reproduziert erzeugt, nicht gleichzusetzen.
Unabhängig vom künstlerischen Qualitätsanspruch und der Fertigungsweise hat sich der Begriff „Kunsthandwerk“ als Sammelbegriff für sowohl kunsthandwerkliche als auch kunstgewerbliche Produkte aus aller Welt durchgesetzt.

Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist (Heilkunst, Kunst der freien Rede). Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses.

Lassen sie sich doch mal durch die Welt der "Madame Tricot" führen und urteilen Sie selbst, ob Ihre Kreationen Kunst oder Kunsthandwerk sind.....

Das war das Titelbild von der Schweizer Familie, welches meine Neugier weckte.




Hier der Text aus dem Heft Nr. 22 der "Schweizer Familie" von Roland Falk über diese faszinierende Frau:

Quirlig, das Adjektiv passt. Einigermassen. Dominique Kähler Schweizer, 66, zählt zu den Menschen, denen ahnbar keine Beschreibung ausreichend gerecht wird. Sie ist ein Naturereignis, ein Ausbund von zündenden Ideen und unkonventionellen Absichten.
Eine Frau zudem, die sich in alles eingibt, als ginge es um ihr Leben. «Wenn ich etwas im Kopf habe, setze ich es mit voller Energie um», sagt die Kreative aus Wil SG, die ihr Tun gerne mit Klarsätzen wie «Kunst muss an- oder aufregen» unterlegt. Weitum bekannt ist die gebürtige Pariserin, die selbst nach über 40 Jahren in der Schweiz noch in charmant gebrochenem Deutsch parliert, als Madame Tricot, als eine, die fast unablässig strickt. Keine kommune Wärmware, sondern dreidimensionale Nachbildungen von Lebensmitteln wie Würsten und Schweinsköpfen, die sie mit frappant wirklichkeitsnahen Cremetorten und Obstarten zu Installationen fügt. «Ich lisme, also bin ich», sagt die Gewitzte, die jeden Augenschmaus zustande bringt. Stricken, sagt die Künstlerin, sei für sie «über alle Massen meditativ». Im Bus, im Flugzeug, überall nadelt sie, weckt Fragen bei Mitreisenden, erzählt Interessierten von witzigen Projekten, von Ausstellungen in zahlreichen Museen. Mehrmals schon wurden die Medien auf sie aufmerksam, die amerikanische «Vogue» etwa, von der sie unlängst nach New York eingeladen wurde, oder das Schweizer Fernsehen, das sie 2013 zu einem Auftritt bei «Aeschbacher» bat. Ausserdem wird sie im Buch «Cervelat» verewigt sein, das der Zürcher AS-Verlag am 1. August als Hommage an die Nationalwurst herausgibt. «Ich gehöre jetzt also wortwörtlich zur Cervelatprominenz.»
Kürzlich war die Umtriebige, der nichts so schnell die Sprache verschlägt, für Momente baff. Am 8. Mai nämlich wurde sie mit dem Förderpreis der Kulturstiftung von St.Gallen geehrt, 7500 Franken erhielt sie und «jede Menge Zuspruch bei einem opulenten Apéro mit Behördenvertretern». Das Geld ist bereits investiert, in eine Naursteinmauer im 6000 Quadratmeter grossen und verwunschen wirkenden Garten, der ihr mit Kunst und Kinkerlitzchen zum Bersten vollgestelltes Haus einfasst und in dem sie mitunter Bäume in Wollkunst hüllt. Geblieben aber ist die Freude darüber, «dass ich jetzt die einzige kantonal approbierte Strickkünstlerin bin», sagt die Preisträgerin, die im Brotberuf Ärztin mit Kenntnis der Naturheilkunde war und Psychiaterin. Was ebenfalls bleibt, ist ein Rätsel: «Ich habe bis jetzt nicht die blasseste Ahnung, wer mich für die Auszeichnung vorgeschlagen hat.» Stilsicher ist die Nadelvirtuosin, und das, meint sie, «liegt bestimmt in meinen Genen». Die Mutter war Modedesignerin und gab auf einem französischen TV-Sender «jeden Montag einen Schnittkurs», der Vater arbeitete als Modejournalist. Dominique selber studierte nebst der Medizin Kunstgeschichte an der renommierten Ecole du Louvre und wurde dort mit jedem Genre vertraut. «Vermutlich hätte ich auch Malerin werden können», sagt die Wache, die sich von allem, was ihr begegnet, inspirieren lässt und die jederzeit das Credo des einstigen deutschen Aktionskünstlers Joseph Beuys (1921–1986) unterschreiben würde: «Jeder ist ein Künstler.» Mandalas, indische Meditationsbilder, malte sie oft, damals, während der Studentenunruhen von 1968 in Paris, die sie nicht mitbekam, weil ihr Vater sie aufs Land verfrachtete: «Er misstraute der Rebellion und wollte nicht, dass sie mich beeinflusste.» 

Diese Gefahr wäre klein gewesen, denn Politik interessiert die Künstlerin bis heute nicht. «Zu direkt, zu ehrlich» sei sie für dieses Geschäft, in dem man «aufs Maul
hocken können muss». Weltoffen und liberal, «ja, das bin ich, aber auf nichts festgelegt», sagt sie mit einem kessen Blick durch ihre signalrote Brille. In den wilden Monaten des gesellschaftlichen Umbruchs frisierte Dominique in der Abgeschiedenheit noble Bürgerinnen und verdiente sich als Unterhalterin von Teekränzchen Benzingeld fürs Töffli. Brav war sie, streng erzogen, «ohne einen einzigen Gedanken an die damals propagierte freie Liebe». 

Ihrem späteren ersten Ehemann, den sie auf einem Wüstentrip in Marokko kennengelernt hatte, folgte sie in die Schweiz, mit ihrem zweiten betreibt sie heute eine Zucht für Blutegel. Über die schleimigen Heiler, die sie für zahlreiche Kuren einsetzt und an Spitäler verkauft, hat sie drei Bücher geschrieben. «Diese Tiere sind meine zweite Leidenschaft neben der Kunststrickerei.» 
Eines hat sie für Demonstrationszwecke riesengross und bis ins letzte Detail in Wolle geschaffen. In einer stillgelegten Metzgerei von Wil hängen Œuvres der Künstlerin, ein gefüllter Fasan und ein Körbchen mit Pilzen findet sich neben einem Fleischwolf, aus dem eine rote Masse quillt. 
Wer genau hinsieht, nimmt auf einigen Auslagestücken gestrickte Schimmelstellen und Schmeissfliegen wahr. «Nichts darf zu perfekt sein, sonst verkommt es zu Kitsch», sagt die einstige Ärztin, die Masche für Masche auch schon menschliche Organe nachgestaltet hat. Zu ihrer kreativen Arbeit kam Dominique Kähler Schweizer «wie Maria zum Kind», ohne Zutun, ohne Absicht. 
«Die besten Dinge im Leben muss man nicht suchen,
die kommen auf einen zu», sagt sieZuerst tüftelte sie für die Kinder ihrer zwei Töchter an knutschweichem Spielzeug herum, dann wurden die unverkäuflichen Objekte zunehmend anspruchsvoller. 

Ein Fisch gehörte zu den anfänglichen, ein anderer, bis auf die Gräten reduziert, war die Fortsetzung. Und irgendwann kamen die Ausstellungen. Die erste in einem Winterthurer Wollladen fand «bombastischen Anklang», erinnert sich die Künstlerin. Vor dem Schaufenster stauten sich Passanten und ganze Schulklassen, «und täglich musste die betatschte Scheibe geputzt werden». 
Seit ihrer Ehrung freut sich die Esswaren-Kreateuse bereits auf den Herbst. An der Olma in St.Gallen steht ihr dieses Jahr nämlich eine VIP-Bratwurst zu. Eine
originale, geniessbare, «zu der nicht mal ich einen Senf dazugeben werde».


Den ganzen Artikel zum blättern mit allen Bildern finden Sie HIER

Das erste Fischobjekt von Madame Tricot.....

.....Und das zweite.....







...da knurrt doch plötzlich der Magen, oder?



...und noch etwas für VegetarierInnen...

...da muss man schon 2x hingucken......

....und bis ins letzte witzige Détail.....die Ratte unter dem Kühlschrank!!!

Wenn Sie mehr über Madame Tricot erfahren möchten, dann besuchen Sie doch ihre Webseite HIER!
Oder folgen Sie ihrem Blog HIER!
Oder HIER finden Sie ein kleines Filminterwiev mit ihr!
Und HIER ein anderes.....


 Auch witzigen Schmuck kreiert Dominique Kähler Schweizer.

Im Rahmen der bis zum 31. Oktober
dauernden Sonderausstellung
«Die Wurst» können dem Agrarmuseum Burgrain in Alberswil LU
bis zum 27. Juni per Post oder persönlich selber gefertigte Wollwürste eingereicht werden.
Tags darauf wird Madame Tricot die originellste prämieren und wie alle anderen für eine Installation verwenden.
Eine Strickanleitung auf www.museumburgrain.ch gibt Inspirationen.

Und nun? Kunst oder Kunsthandwerk? So oder so: witzig ist es allemal!!