Freitag, 9. Mai 2014

Jurieren – Zufall oder Können?



von Grietje van der Veen

Kaum war die Jurierung für teximus 1 vorbei, ging es schon an die Zusammenstellung der Werke für die patCHquilt Jubiläums-Ausstellung „Fadenspannung“. Und jetzt wurde ich gebeten an der Vernissage des Jubiläums-Festivals von patCHquilt ein paar Worte übers Jurieren zu sprechen. Kein Wunder, mache ich mir heute intensiv über Jurieren und Ausstellungen Gedanken.

Ich habe schon mehrmals übers Jurieren berichtet. Annette bemerkt in ihrem Kommentar zu meinem letzten Wordless-Wednesday, es wäre schön, wenn man nach einem Wettbewerb wüsste, wie das Werk, das man dazu eingereicht hatte, von der Jury beurteilt wurde.

Es ist vielen Aussenstehenden oft nicht bewusst, dass es verschiedene Arten von Jurierungen gibt. Die englische Sprache kennt die Begriffe „Judging“ und „Jurying“, eine Unterscheidung, die es in der deutschen Sprache nicht gibt. Das kann zu Verwirrung führen.

Judging

Das englische Judging wird verwendet für die eingehende Beurteilung eines einzelnen Werks anhand eines Kriterienformulars. Die meisten europäischen Quilterinnen werden inzwischen das „Festival of Quilts“ in Birmingham kennen. Dort kann man einen Quilt für eine bestimmte Kategorie anmelden. Jede Arbeit – ob gut oder schlecht - wird angenommen. Sogar auch dann, wenn der Quilt offensichtlich für eine falsche Kategorie angemeldet wird, was übrigens nicht selten geschieht. Wie das Foto von letztem Mittwoch zeigt, werden das Design wie Komposition, Farbe, Randgestaltung, Quiltdesign, etc. und die Technik wie Zusammennähen, Quilten, Appliqué, etc. einzeln benotet.

FoQ 2012, Kategory Contemporary, highly comended
Alle hier gezeigten Fotos habe ich am Festival of Quilts 2012 aufgenommen.

Für jede Kategorie werden drei Jurorinnen eingesetzt, die die Bewertungen vornehmen. Diese Drei dürfen während der Jurierung nicht miteinander sprechen. Es wird erst nach der Auswertung sämtlicher Bewertungsformulare über die vier höchstbewerteten Arbeiten in der beurteilte Kategorie diskutiert. Dann wird festgelegt, welche von denen den ersten bis dritten Preis bekommen und welche mit „highly commended“ ausgezeichnet wird.

Kategorie „Two-Person-Quilt“ - Winner

Sämtliche Quilterinnen erhalten die drei Bewertungsbogen nach dem Festival zusammen mit ihrer Arbeit zurück. So erfahren sie, wie die Jurorinnen, jede für sich, ihre Arbeiten sehen. Von den Leuten, deren Arbeit eine gute Benotung bekam, hört man meistens nichts. Die wissen ja, dass sie eine tolle Arbeit abgegeben haben.

Anders reagieren manchmal Leute, die zwar die gleiche Überzeugung von ihrer Arbeit haben, aber eine mittelmässige oder gar schlechte Bewertung bekommen. Statt das Werk nochmals kritisch zu betrachten und in sich zu gehen, wird die Jury als inkompetent deklariert. Die Freundinnen und Familienmitglieder waren doch alle so begeistert. Und nun dies… Trotz des Hinweises, dass über die Bewertung mit den Veranstaltern grundsätzlich nicht diskutiert wird, bekommt die britische Gilde nach jedem Festival empörte Briefe von enttäuschten Quilterinnen.

Natürlich gibt es vereinzelt auch Fehleinschätzungen der Jury. Die Zeit für jedes Werk ist nämlich äusserst knapp bemessen. Die Jurierung verlangt höchste Konzentration über Stunden.

Kategorie „British Guild Challenge“ 2011: "Britain – what it means to you"

Kategorie und Thema wie oben
Genau gleich verfahren wie oben beschrieben wird bei der Kategorie „British Guild Challenge“. Obwohl hier ein Thema vorgegeben ist, wird jeder eingesandte Quilt angenommen und erst danach benotet. Neu – seit 2013 - ist allerdings die „Fine Art Section“, bei der die Auswahl nicht nach, sondern vor dem Festival anhand eingesandter Fotos getroffen wird.

Poppies, ein sehr beliebtes Motiv bei Quilterinnen


Will also eine Quilterin wissen, wo sie steht mit ihrer Kunst, dann wäre eine Beteiligung an so einem Festival hilfreich. Auch in den USA gibt es solche Veranstaltungen, z.B. in Houston.

Jurying

Anders geht man bei der Auswahl für eine geplante Ausstellung vor. Jetzt sind wir beim zweiten Begriff „Jurying“. Als erstes werden viel mehr Bedingungen an die Bewerber gestellt, z.B: Grösse, mindestens zwei Lagen, welche Materialien nicht erlaubt sind, ob es ein neues Werk sein muss, das noch nie ausgestellt worden ist, etc. etc. Nicht nur die Bewerber müssen sich daran halten, auch die Jury. Die Urteile der Jury sind eng verzahnt mit den Vorgaben der Organisatoren. Sie hat sich strikt an deren Bedingungen zu halten. Wenn also eine bestimmte Grösse vorgegeben ist, darf die Jury kein Werk annehmen, bei dem es diesbezüglich Abweichungen gibt, und wenn die Arbeit noch so schön ist.

Der Einfluss der Organisation endet übrigens bei der Jurierung selber. Die Jury muss jeden Versuch der Organisation, Einfluss auf die Jurierung an und für sich zu nehmen, sofort unterbinden. Es geht nicht an, Einmischungen zu dulden, nur um Streit zu vermeiden. Die Jury hat nämlich nicht nur Verantwortung gegenüber den Organisatoren, sondern ebenso gegenüber den Bewerbern. Die haben ein Recht darauf, dass man deren Werke ernsthaft prüft und dabei Fairness walten lässt.

Wichtige Kriterien für die Auswahl sind Originalität, Komposition, Farbwahl, kurz: der optische Eindruck oder salopper gesagt: der WOW-Effekt. Es werden also nicht für Design und Technik separate Noten vergeben. Massgebend ist aber auch der zur Verfügung stehende Raum an der Ausstellung. Ebenfalls, ob die ausgewählten Werke ein harmonisches Ganzes ergeben.

Etwas zum Jurierungsvorgang

Als vor fünf Jahren das 20-jährige Jubiläumsfestival von patCHquilt gefeiert wurde, war ich noch im Vorstand. Da ich den 2-jährigen „Judging-Course“ der Britischen Gilde absolviert hatte, wurde ich gebeten, den Jurierungsvorgang für den Wettbewerb festzulegen. Das System hat sich bewährt. Es wurde auch bei „Teximus 1“ verwendet und auch jetzt bei „Fadenspannung“.

Eine Bedingung eines Quilt-Wettbewerbs ist meistens, 2 digitale Fotos des Werks dem Formular beizulegen, eins des Gesamtwerks und ein zweites, das einen Ausschnitt daraus zeigt.

Diese Bilder werden bei der Jurierung in mehreren Durchgängen auf einem grossen Bildschirm oder per Beamer auf eine Leinwand gezeigt.

Es gibt drei Jurierungsstufen-Stufen:
Kennenlernen
Beurteilen
Diskutieren der strittigen Fälle

Schauen wir uns die einzelnen Stufen an:

Erster Durchgang: Kennenlernen

Damit die Jury einen Überblick über die ganze Bandbreite der eingesandten Werke bekommt und das Niveau abschätzen kann, werden sämtliche Bilder zuerst einmal kommentarlos in mit stets gleichen Zeitintervallen (einige Sekunden pro Bild) hintereinander gezeigt.

Zweiter Durchgang: die Beurteilung

Die Jury hat einen Stapel nummerierter Formulare vor sich. Für jedes Jurymitglied und jedes Werk ein Formular. Die Nummern auf dem Formular korrespondieren mit den Nummern der hintereinander gezeigten Bilder. Auf dem Formular eine Beurteilungsskala.

Die Bilder dieses Durchgangs werden ein paar Sekunden länger als beim ersten Durchgang gezeigt. Während die Jury die Bilder betrachtet, liest eine aussenstehende Person die auf dem Anmeldeformular angegebenen Informationen zum Titel, den verwendeten Materialien und Techniken, sowie zur Motivation der Künstlerin vor. Das ist wohl auch der Grund, weshalb viele Veranstalter die Anzahl Wörter der Künstlerkommentare beschränken.

Auch dieser Durchgang wird ohne Diskussion absolviert. Die Formulare werden von einer Hilfsperson fortlaufend eingesammelt und ausgewertet, damit zwischen dem zweiten und dritten Durchgang nicht allzu viel Zeit verstreicht.

Nach dem zweiten Durchgang gibt es Zeit für einen Kaffee, denn die Auswertung ist dann noch nicht abgeschlossen. Nach der Auswertung der Formulare zeichnet sich schon ein Trend ab. Sämtliche Werke mit der Gesamtbeurteilung „Ausgezeichnet“ sind angenommen. Auch diejenigen Werke mit der Gesamtbeurteilung im untersten Bereich stehen nicht mehr zur Diskussion und scheiden aus.

Die Computerexpertinnen sortieren nun die Fotos der Angenommenen und definitiv Abgewiesenen aus der Liste aus, damit nur noch das Mittelfeld zur Weiterbeurteilung übrig bleibt.

3. Durchgang: Diskussion

Wiederum werden dazu die Bilder gezeigt und bei Bedarf nochmals die Informationen zu Titel, Material, Technik, Intention vorgelesen.
Maximale Diskussionszeit pro Werk sind nun eine festgelegte Zahl von einigen Minuten. Wenn sich die Jury dann nicht einig ist, wird abgestimmt und ein Mehrheitsentscheid gefällt. Das ist auch der Grund, weswegen eine Jury immer aus einer ungeraden Anzahl von Personen zusammengestellt wird (also 3, 5 oder 7).
Dieses straff geführte Prozedere garantiert einerseits eine faire Behandlung aller Werke. Keins erhält mehr Aufmerksamkeit als das andere. Andererseits kann die Jurierung nicht zeitlich ausufern. Ich habe schon bei Jurierungen mitgemacht, wo man von morgens früh bis abends spät endlos diskutiert hat, weil man sich nicht einigen konnte. Das ist nicht der Sinn der Sache.


Contemporary Winner
Fazit:

Nun wird klar, dass dem Wunsch vieler Künstlerinnen nach einer Begründung der Absage nicht nachgekommen werden kann. Einerseits werden die Werke nicht detailliert benotet und andererseits fehlt schlicht und einfach die Zeit. Bei „teximus 1“ wurden ca. 100 Werke abgewiesen, nicht zuletzt weil die Kapazität der Altstadthalle begrenzt ist. Stellen Sie sich vor, die Jury müsste über jedes einzelne Werk – manchmal endlos – mit den Künstlerinnen diskutieren!

Miiniaturen, 2. Preis. An der Tafel sieht man, wie winzig das Werklein ist
Hier nochmals die gleiche Arbeit
Noch etwas zur Eingabe einer Bewerbung:

Lesen Sie die Bedingungen sorgfältig und zwar bevor Sie mit der Arbeit anfangen. Und halten Sie sich dran. Wenn die Sache nicht ganz klar ist, dann erkundigen Sie sich bei der Organisation. Wenn eine Bewerberin die vorgegebene Länge mit der Breite verwechselt, dann wird das ansonsten wunderschöne Werk einfach abgewiesen. So etwas tut einer Jurorin im tiefsten Herzen weh. Oder wenn es z.B. heisst, Bilder des Werkes dürfen bei Annahme erst publiziert werden, nachdem die Ausstellung angefangen hat, dann gebietet der Anstand, dass man das befolgt. Vor zwei Wochen stellte eine Teilnehmerin einer Ausstellung, wovon die Vernissage erst Ende Juni ist, ihr Werk auf Facebook, obwohl die Bedingungen dies untersagten.

Die Fotos sind das A und O der Beurteilung. Ich bin immer wieder erstaunt über die schlechte Qualität der Bilder. Nicht nur, dass sie manchmal unscharf sind, auch die Art der Gestaltung lässt zu wünschen übrig. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen man noch Hände oben und an der Seite erkennen können, wie bei einem „Show and Tell“. Aber oftmals wird ein Hintergrund gewählt, der vom Werk ablenkt, oder man kann gar nicht erkennen, was Werk und was Hintergrund ist. Oder das Werk wird in einer Schieflage fotografiert. So ist es nicht verwunderlich, dass nicht selten ein Werk wegen der schlechten Fotoqualität abgelehnt wird. Was ja sehr schade ist.

Was ganz unfair ist: Man verschweigt Tatsachen oder negiert Vorschriften bewusst. Es wird z.B. verschwiegen, dass ein Werk in einem Workshop unter Anleitung entstanden ist oder es sich um eine Kopie des Werks einer anderen Künstlerin ist. Kleine Änderungen machen aus einer Kopie kein Original.

Wenn eine Arbeit angenommen ist, sollte man keine Änderungen mehr  vornehmen, also keinen zusätzlichen Rand, oder noch eine Applikation hinzufügen. Der Jury hat das Werk so gefallen, wie es eingereicht wurde. Man sollte später nicht noch etwas verschlimmbessern.


5 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diesen Blick hinter die "Jurytüren". Das alles wusste ich bisher noch nicht und habe noch mehr Respekt vor dieser Arbeit. Und falls ich jemals irgendwo ein Werk einreichen sollte, weiß ich jetzt die Entscheidung der Jury zu respektieren. Ein für mich sehr interessanter Artikel und ich denke das Publikum in der Schweiz hat ebenfalls sehr interessiert zugehört. Liebe Grüße Anette

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  2. liebe grietje
    dein beitrag zeigt ganz eindrücklich, wieviel seriosität , zeit und sorgfältigkeit hinter der jurierung eines wettbewerbs stecken! und auch, wie wichtig es ist, dass hier ganz klare richtlinien herrschen, die es zu beachten gilt.
    ich habe ja bei der jurierung von "teximus 1" dieses prozedere hautnah miterlebt. es war sehr spannend und ich habe auch gelernt, hinter der entscheidung einer mehrheit zu stehen, auch wenn das resultat nicht immer in meinem sinn ausgefallen war.aber so lernt man auch toleranz. und das resultat dieses prozesses kam ja an der ausstellung bei den meisten besuchenden sehr gut an!
    danke für deinen zusammenfassenden bericht über diesen wichtigen schritt bei einer jurierten ausstellung!
    judith

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  3. das war ein interessanter Einblick hinter die Kulissen. Jetzt kann man mehr Verständnis für den Ablauf haben. Vielen Dank.
    Martina

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  4. Das nenne ich mal Klartext reden und bedanke mich herzlich für die Aufklärung. Jetzt ist mir so manches klarer!!!

    Nana

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  5. Liebe Blogleserinnen,
    Euere Kommentare haben mich sehr gefreut. Ich bin froh, dass ich einen kleinen Beitrag leisten konnte zu mehr Verständnis für die Entscheidungen einer Jury. Wie Judith sagt, Jurieren ist ein demokratischer Akt. Wenn ein Jurymitglied mit der Entscheidung der anderen nicht einverstande ist, muss er sich eben der Mehrheit beugen, vielleicht sogar zähneknirschend :). Aber das ist im täglichen Leben auch nicht anders.
    Vielen Dank für euren Feedback.
    Grietje

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